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Montag, 15. August 2011

10.08. 20ème étape: Cordes-sur-Ciel–Albi (23,64 km, 1:11:29) (Attention! Priorité aux piétons!)

Zwei Gänge rückwärts

Am 10. August haben wir unser Projekt nach 1.856 Kilometern abgebrochen, in Albi einen Leihwagen genommen und den Heimweg angetreten.

2012 haben wir den nächsten Anlauf genommen. Mit mehr Erfolg.

Guter Morgen in Vieux Cordes.
Auf dem Weg durch den Ort.
Frühstück in Cordes.

09.08. 19ème étape: Villefranche-de-Rouergue–Cordes-sur-Ciel (54,73 km, 3:15:05) (Véhicules surbaissés attention)

„Monsieur, vous êtes vulgaire!“

Das Frühstück ist so speziell wie das Essen am Abend vorher. Wir machen uns gegen halb zehn auf den Weg, von den Gästen, die noch beim Frühstück sitzen, ernten wir durch die Scheiben die üblichen Blicke zwischen Mitleid, Neid und völliger Verstörung.

Marie-Noëlles Kühe müssen sich nicht bücken, die Bäuerin füttert sie traditionell aus der Hand.

Unser erstes Ziel ist die riesige Collégiale Notre Dame in Villefranche. Mitten in der Stadt dominiert sie einen kleinen Markt, durch ihren 58 Meter hohen Glockenturm verläuft eine der wichtigen Verkehrsadern der Innenstadt.

Hier herrscht Meldepflicht für Jakobs-Pilger.


Wenig Platz auf dem Kirchplatz.

Wir marodieren noch ein bisschen durch die Gassen, staunen über die Enge in der Bastide und finden irgendwann außerhalb des Zentrums eine Utile-LAND-Filiale, wo wir alles Nötige fürs Mittagessen erwerben. Die Verkäuferin an der Käsetheke ist irgendwie von uns angetan und kommt nach dem Einkauf noch zum Plausch raus auf die Straße, das ist nett von ihr, kostet uns aber locker eine Viertelstunde – am Ende wird es elf, bis wir loskommen.

Auf der D47 arbeiten wir uns in Richtung Monteils voran, und was, bitteschön, könnte man von einem Ort erwarten, der den Mont schon im Namen trägt? Oben angekommen, empfiehlt unser Radführer auch oben zu bleiben. Dort hat man gute Sicht, leider ist es kalt und windig, wir halten uns nicht lange auf.

Land mit Weitblick.

Der Schreiber selbst ist hier wohl wieder mit dem Camper zugange gewesen, denn seine Beschreibungen beziehen sich auf genau den Weg, von dem er uns abrät, dem Weg nach Najac.

Blick auf Najac, von Staats wegen zu einem der schönsten Dörfer Frankreichs erkoren.

Vor dem Mittagessen müssen wir nochmal steil abwärts nach Varen, das uns freundlich, weil mit einem schönen Rastplatz abseits der Straße empfängt. Wir belegen einen der drei großen, quadratischen Tisch mit Büro und Schnellimbiss und jede/r tut, was zu tun ist. Nach dem Essen ein Anruf im gewünschten Hotel, der sich zur bislang umständlichsten Reservierung der Reise entwickelt.

Die junge Frau am anderen Ende der Leitung will einfach alles über uns wissen, bevor sie in die Reservierung einwilligt. Und sie bucht gleich mal 15 Euro „Sicherheit“ von der Kreditkarte ab, die dann mit der Nachtgebühr verrechnet werden. Im Gegenzug verrät sie uns immerhin, wo im Ort wir das Hotel finden.

Das Ziel immer fest im Blick.

Wir fahren auf der einfach zu bewältigenden D600 in südwestlicher Richtung weiter, nach etwa 15 Kilometern sehen wir links Cordes-sur-Ciel. Unser Reiseführer schwelgt in Lob ob der gotischen Häuser, der verwinkelten Gassen und der malerischen Lage. Ich bin überrascht, dass ich schon nach kurzem Aufstieg im Herzen des so hoch gelegenen Ortes ankomme.

Mo braucht etwas länger, aber nicht, weil sie langsamer macht, sondern weil ich zu weit gefahren bin und sie zunächst darauf wartet, dass ich zurück komme. Ich habe die beschriebene Auffahrt verpasst und wundere mich, als sie es mir erklärt. Wir fahren zurück, fragen unterwegs zur Sicherheit noch einen Eingeborenen und folgen dann dessen Rat: steil aufwärts.

Anfangs schieben wir (ja: steil ist ernst gemeint) auf einer asphaltierten Straße, dann sieht Mo durch eine kleine Gasse Menschen auf gepflastertem Weg aufwärts streben. Dort will sie auch mal schauen, also schieben wir rechts rein ins Getümmel. Der Weg ist jetzt etwa doppelt so steil wie vorher, teilweise ist es kaum mehr vorstellbar, ein Fahrrad mit 20 Kilogramm Gepäck nach oben zu drücken.

Auf dem Weg in den Himmel.

Ich erinnere mich, dass die Frau am Hoteltelefon uns aus Kostengründen nicht direkt im Hotel, sondern zwei Minuten entfernt unterbringen will, und überlege, dass es Blödsinn wäre, das ganze Gepäck zuerst hinauf und im schlimmsten Fall wieder ein Stück nach unten bewegen zu müssen. Also lasse ich Mo mit den Rädern zurück und mache mich allein auf den weiteren Weg.

Die Zahl der Menschen steigt mit jedem Meter, das Laufen fällt allen schwer, Kinder, die von oben kommen, stürzen und schreien. Der Weg nach oben findet kein Ende, hinter jeder Kurve wird es steiler, enger, pittoresker. Irgendwann bin ich doch oben. Überall Läden, Eis-Verkäufer, Crêperien, Restaurants – die übliche Touristenfalle.

Unser Hotel liegt recht zentral, die Frau am Empfang erkenne ich an der Stimme wieder. Wir  klären einige Details, ich erfahre, dass es kein WiFi gibt, denke an unser Blog und sage: „Ach, du Scheiße.“ Sie schaut mich entrüstet an und wirft mir eine gewöhnliche Ausdrucksweise vor. Ich frage, wie sie darauf käme, und sie verrät mir, dass sie Deutsch spricht.

Nachdem ich unser Zimmer gesehen habe, mache ich mich auf, Mo abzuholen. Sie hat locker eine Viertelstunde warten und sich die Kommentare der Passanten anhören müssen und ist dementsprechend prima drauf. Der weitere Aufstieg macht es auch nicht besser, aber wir bewältigen ihn gemeinsam. Unterwegs beschließen wir, am nächsten Morgen nicht im Hotel zu frühstücken, zwei Mal 12,50 Euro für ein Stück Baguette, ein Croissant und einen Café sind uns einfach zu viel.

Ausblick.
Einblick.

Cordes erleben wir im weiteren Verlauf des Abends als tote Stadt. Tagsüber werden die Besucher durch- und ausgepresst, nach 19 Uhr müssen die Geschäfte gemacht sein, dann stirbt das Leben. Vereinzelte Hotelgäste können daran ebenso wenig ändern wie Händler und „Künstler“, die versuchen, vor ihren Türen gute Laune darzustellen.

Hotellerie und Gastronomie beherrscht Yves Thuriès, der sich als Patissier einen Namen gemacht hat und diesen jetzt großflächig in Ertrag umsetzt. Alle Hotels im Ort gehören ihm, einige Hotels und Patisserien betreibt er selbst, an anderen ist er beteiligt. Bäcker oder Cafés gibt es nicht, so kann er leicht 12,50 fürs Frühstück nehmen, so müssen wir morgen fürs Frühstück hinunter in den Ort fahren.

Kommen, staunen, zahlen.
Mont-Saint-Michel ist überall.

Echte „Bewohner“ hat Cordes nicht mehr. Die Etagen über den Geschäften sind leer und ungenutzt, einige Hausbesitzer versuchen, mit Lichteffekten einen anderen Eindruck zu erwecken. Hier und da werden Zimmer vom Personal der Hotels als Wohnraum okkupiert. Keine Kinder, keine Alten, keine Dinge des täglichen Bedarfs. Ein Open-Air-Museum der französischen Art.

Ungewohnt, unbewohnt.

Da auch uns der Weg nach unten zu weit ist, essen wir im Hotel. Das Essen ist gut, die Preise sind OK, der Service ist sehr professionell, aber leider völlig überlastet. Auf dem Weg zurück zu unserem Hotel  ist kaum noch jemand zu sehen.

View Cordes.

Samstag, 13. August 2011

08.08. 18ème étape: Cahors–Villefranche-de-Rouergue (87,04 km, 4:47:27) (Arbres inclines)

„Das heißt nicht nur Clos, das stinkt auch so.“

Nachdem wir gestern gen Westen gefahren sind, versuchen wir's heute auf der anderen Seite des Flusses gen Osten. Zunächst verfahren wir uns, weil wir glauben, eine Zufahrt zum „Circuit des Vallées du Lot et du Célé“ gefunden zu haben, der allerdings, wie wir später feststellen dürfen, erst zwanzig Kilometer weiter östlich beginnt.

Südlich des Lot hinaus aus Cahors.

Unser kompetenter Rad-Reiseführer schickt uns auf die D911, die dem Namen alle Ehre macht und hohe Geschwindigkeiten erlaubt. Vor Arcambal sehen wir die ersten Weinberge, hoffentlich schmeckt die Brühe nicht so, wie es dort riecht.

In Arcambal verlassen wir die Straße, fahren anweisungskonform nach Galessie und stehen dort vor der Wahl: Entweder „... im Dorf erneut links. Das winzige Sträßchen folgt dem Lot und stößt dann nach einer Rechtskurve zur D49, der man links über den Lot folgt.“ oder „Wen eine Steigung nicht schreckt, der ... sollte der D6 weiter bergauf folgen ... in Payranne geht es dann wieder hinab zum Lot.“ Wir haben genug Steigungen erschreckt und wählen deshalb die erste Variante.

Hinter Galessie stürzt das winzige Sträßchen den Berg hinunter, wir erreichen den Lot und stellen fest, dass es weit und breit keine Brücke gibt. Nur eine stillgelegte Eisenbahnstrecke und die Fortsetzung unserer Straße mit anderen Mitteln; was gerade noch steil bergab führte, quält uns nun ebenso steil, aber deutlich länger bergauf. Mit jedem Meter werde ich mir sicherer, dass der Autor unseres Büchleins diese Strecke nicht bewältigt hat, sondern mit seinem Camper oben herum gefahren ist und die Alternative nach flüchtiger Ansicht der Karte erdacht hat. Am höchsten Punkt wird diese Annahme zur Gewissheit; von rechts trifft die Straße aus Payranne auf unsere Steilstrecke, und wir nehmen den Camper-Radler mit zur Brücke über den Lot.

„... und die sich dabei bietenden herrlichen Ausblicke genießen.“

Hinter Vers beginnt dann tatsächlich der Circuit, den wir bereits vor 23 Jahren einmal mit weit aufgerissenen Augen im Auto gefolgt sind. Der Verkehr ist der Mittagszeit gemäß und damit erträglich, die Kulisse ist immer noch ein Traum, den man nicht erzählen kann. Leider sind die Film-Versuche kläglich gescheitert, da ich immer zur falschen Zeit dachte, die Kamerafunktion sei aus- bzw. angeschaltet. So habe ich mehrere beeindruckende Filme über die Rückseite meiner Lenkertasche gedreht.

Vor Bouzies und vor allem bevor die Reitergruppe kam.


Wirkt schroff, ist aber ganz lieb.

Zum Mittagessen schleppen wir die Räder ein Stück weg von der Straße auf ein totes Gleis, das über eine alte Brücke führt. Einem passierenden Wanderer gefällt das.

Während Mo Baguette mit Käse kombiniert, verbinde ich Telefon und Rechner, um einen morgens begonnenen Job zu Ende zu bringen und die Daten zu übertragen. Das gelingt zwar, leider macht der Mac aber immer mehr Sperenzchen, so dass eine sichere Nutzung immer unsicherer wird. Dass parallel die ersten Regentropfen fallen, macht die Sache auch nicht besser.

Mittags auf dem Abstellgleis bei Saint-Martin-Labouval.
Nicht auf Sand, sondern in den Fels gebaut.
Früher überraschte uns der Lot mit Tabakplantagen, heute langweilt die Nutzfläche mit Mais.
Auf unseren letzten Metern entlang des Circuit.

Auf dem weiteren Weg nutzen wir den einsetzenden Regen und eine offene Scheune, um die mitgeführte Honigmelone zu zerfleischen. Bis Cajarc setzen wir die Reise auf dem nördlichen Ufer des Lot fort, in Cajarc setzen wir uns erstmal vor eine Bar und trinken zwei Cafés. Der Logis-Führer verhilft uns zum nächsten Hotel, es liegt auf der anderen Seite des Flusses in Villefranche-de-Rouergue, und der Patron sagt mir gleich am Telefon, wo wir die Räder abstellen können.

Auf schmalem Pfad über den Lot.
Hier hat alles seine Ordnung und jede Schüssel ihr Becken.
„Blöd gucken kann ich auch.“

Den Weg zum Hotel beschreibt unser Reiseführerlein so: „Hinter Cajarc beginnt ... ein längerer, aber recht ruhiger Anstieg. Danach bleibt man auf der Höhe und erreicht an immer lichter werdenden Bäumen vorbei schließlich Villefranche-de-Rouergue.“

Tatsächlich geht es lange bergauf, aber sobald man oben ist, beginnt der Kampf gegen die Hügel, die leider klar im Vorteil sind, weil sie ihre Position über Jahrhunderte optimieren konnten. Was die Sache zusätzlich erschwert, ist ein plötzlich auftauchender Wegweiser zu unserem Hotel, der geradewegs auf eine neue, zweispurige Route Nationale führt, die zwei Hügel über ein tiefes Tal verbindet und wie dafür geschaffen scheint, todesmutige Radler im Anstieg von beschwingten Lkw überrollen zu lassen.

Wir wagen uns bis zur Mitte des einen Anstiegs und machen dann lieber doch kehrt, um einen zweiten Weg durch die Stadt zu suchen. Was das Paperback verschweigt: Die Stadt liegt tief unten, so dass wir mehrere Kilometer bergauf zurück müssen. Auf der Straße geht das nicht, denn sie ist so schmal, dass es kaum für das Müllauto reicht. Also schieben wir, bis die Breite zumindest theoretisch wieder genug Raum für Auto und Radfahrer vorsieht. Von dort sind es noch fünf Kilometer, überwiegend steil aufwärts.

Immerhin, das Hotel entschädigt für einiges. Mo kann gleich ins Wasser gehen, die Zimmer sind top renoviert und sehr geschmackvoll ausgestattet. Und sowohl das Abendessen als auch der Service zählen zum Besten, was wir bisher auf unserer Reise erfahren haben: Foie gras de Canard maison au Mauzac, Gelée de Pommes acidulées, Filet de Bar rôti, Grenadin de Veau de l'Aveyron, eine fantastische Sélection de Fromages affinés du Terroir plus lecker Nachtisch.

Dazu hat Monsieur Boulliard einen Weißwein unseres regionalen Lieblingsweinguts (wir kennen ja kein anderes in der Region). Dass sie auch Weißwein machen, wussten wir bis dato gar nicht.

07.08. 17ème étape: Gramat–Cahors (60,01 km, 2:59:21) (Prudence - voies retrecies)

„Dass ich solch eine Strecke noch einmal erleben durfte!“

Monsieur persönlich serviert das Frühstück, üppige Viennoiserie, hauseigene Marmeladen, guter Joghurt. Wir packen trotzdem unsere Siebensachen, fahren zwecks Einkauf zu Casino contact und machen uns anschließend auf der D807 in Richtung Saint-Géry.

Anfangs geht es schön rauf und runter mit teilweise langen Abfahrten, auf denen wir über 60 km/h fahren können. Gut, dass wir ausgeschlafen sind.

Hinterm Tor lugt Frankreich hervor.
Die Erde ist eine Scheibe.

Nach etwa 22 Kilometern erreichen wir Labastide-Murat, wo der sonntägliche Markt für Jubel, Trubel, Heiterkeit und hohes Verkehrsaufkommen sorgt. Nebenbei wird auch noch Vieh verkauft, was der Vielfalt der Geräusche ausgesprochen zuträglich ist. Wir setzen uns mitten rein, gönnen uns einen Riegel und fahren irgendwann doch auf der D32 weiter in Richtung Süden.

Ganz ohne Trubel: Mittagszeit in Labastide-Murat.

Was folgt, ist die bislang tollste Abfahrt unserer Tour: rund 24 Kilometer runter, weiter runter und anschließend abwärts, Mo kann es kaum fassen. Bei Saint-Sauveur-la-Vallée fahren wir ins Tal des Vers ein, eine Frau schüttelt am Fenster die Betten und freut sich sichtlich, dass ich ihr im Vorübersausen einen guten Tag wünsche.

Langsam wird's wieder Zeit für weitere Nahrungsaufnahme, so dass wir uns einen schönen Platz suchen und schon bald in Form einer Wiese auch tatsächlich finden. Eine Stunde lang vertreiben wir uns die Zeit mit sitzen, essen, gucken und freuen.

Mittags im schönsten Tal.
Der kommt kaum über die Grenzen der Region hinaus.
Das Schönste: Wir müssen nicht hinauf.

Kurz hinter Fontaine Polemie erreichen wir die D663, auf der wir nach rechts unseren Weg bis Vers fortsetzen. Hier fließt der gleichnamige Fluss in den Lot.

Ein Ort, der heißt wie ein Fluss, der heißt wie ein Ort.
Der Lot auf dem Weg in die Garonne.
Nearer my God to thee.

Von Vers sind es noch knapp 15 Kilometer nach Cahors, dem Ziel unserer heutigen Etappe. Die Strecke ist weiterhin très agréable: rechts die schroffen Felsen, links der träge plätschernde Lot, der sich mal mehr, mal weniger von uns entfernt.

Kurz vor Laroque-des-Arts überholt uns mit hoher Geschwindigkeit ein Wohnwagengespann; vorne ein weißer Van, dahinter ein gleichfarbiger Wohnwagen mit dem Aufdruck „Challenger“. Ich denke noch, „der hat's aber eilig, auf den Campingplatz zu kommen“, da donnert schon das nächste Gespann in ähnlicher Konstellation vorbei. Unterbrochen von einigen Pkw rast Lützows wilde, verwegene Jagd anschließend mit mindestens 30 Fahrzeugkombinationen immer schneller und immer enger an uns vorbei.

Ich schimpfe wie ein Rohrspatz und als wir die Truppe am nächsten Campingplatz einholen (so schnell geht es nicht mit dem Einchecken), mache ich aus meinem Herzen ebenfalls keine Mördergrube, sondern erläutere den Herrschaften en passant und mit allen Feinheiten meiner Muttersprache, was genau ich von ihnen und ihrer Fahrweise halte.

Wenig später kommt die Kolonne erneut vorbei. Noch schneller, noch enger und diesmal unter teils wildem Hupen. Ich schließe daraus, dass die Truppe  a) auf dem Campingplatz nicht genug Platz gefunden hat und die Fahrer mich  b) sehr gut verstanden haben. Mo ist sicher längst an die Seite gefahren, ich spiele noch ein bisschen mit meinem Leben und stelle mich irgendwann auch auf den Grünstreifen.

Hier habe ich Zeit und Muße, mir die Rasenden näher anzuschauen, und stelle fest, dass es sich wohl um den Umzug eines Zigeuner-Clans handelt. Erst Papa mit dem Wohnwagen, dann Mama im Pkw mit den Kindern. Da haben die Aktionen des kleinen Nick im letzten Jahr wohl doch nicht das gewünschte Ergebnis gebracht. Mo kommt etwas später und ärgert sich, dass ich weiter gefahren bin und mich auf diesen Blödsinn eingelassen habe. Was soll ich sagen?

Wir fahren weiter nach Cahors, zum Schluss einen guten Kilometer hinauf nach „Centre Ville“, wo wir feststellen, dass die Innenstadt nicht das historische Zentrum der Stadt ist. Also fahren wir auf einer anderen Straße wieder runter.

Franzosen „können“ Plätze, Ausnahmen bestätigen die Regel.
Idyllische Lage an der ehemaligen Schleuse.

Das Office de Tourisme empfiehlt uns ein Hotel auf der anderen Seite des Lot, es sei frisch renoviert. Wir buchen unser Zimmer, fahren die kurze Strecke und kommen ein bisschen zur Ruhe. Während Mo das Zimmer aussucht, spreche ich mit einer Frau aus Lyon, die an einer Familienfeier im Restaurant teilnimmt. 58 Menschen aus ganz Frankreich feiern Noce d'or mit dem hörbar glücklichen Ehepaar. So macht ein Familienfest auch Menschen Spaß, die gar nicht zur Familie gehören.

Und zum Abendessen geht's wieder zurück in die Stadt.

Abendessen ist schwierig, denn sonntags haben auch in Cahors viele Restaurants geschlossen. Wir suchen lange vergeblich und landen schließlich in einer Brasserie an der Hauptstraße, die ganz stolz darauf ist, dass sie das ganze Menu auf einem Teller serviert: ein paar Salatblätter, einen Hauptgang und ein Stück Käse. Wir haben Hunger, der Kellner ist flott und fröhlich, alles wird gut.

Montag, 8. August 2011

08.08. Interlude: Guten Morgen, Eva.

Wir sind tatsächlich im Süden angekommen und brechen in Kürze in Cahors auf. Allerdings fahren wir erstmal Richtung Osten und von irgendwo südwärts nach Albi. Wenn alles gut läuft, sind wir wohl schon am Donnerstag in Toulouse.

Passt euch das? Oder ist es zu früh?

Zwei Bitten haben wir noch: Wir würden gern 1x eure Waschmaschine benutzen. Wir würden unsere Räder gern bei einem guten Mechaniker auf Verschleißteile überprüfen lassen (Züge, Bremsgummis, Kette usw.) – kennt ihr evtl einen? Oder einen, der einen kennt?

Liebe Grüße
momi

06.08. 16ème étape: Argentat–Gramat (60,94 km, 2:59:21) (Sentier d'interprétation)

C'est l'été, Monsieur.

Der Abschied aus Argentat fällt durchaus schwer. Wir waren bestens untergebracht und hätten gern noch einen Abend bei Monsieur gespeist. Aber wo kein Platz ist, ist kein Platz.

Also plündern wir erstmal die ALDI-Regale und machen uns dann auf, dem Regen davon zu fahren. Auf dem Weg nach Beaulieu-sur-Dordogne klappt das ausgezeichnet, die 24 Kilometer vergehen wie im Fluge, ab und zu ein paar Tröpfchen, mehr kommt nicht von oben. Zwischendurch ist Brivesac „en fête“, da machen wir etwas langsamer.

Beaulieu ist ein schöner Ort mit vielen Touristen und dementsprechend viel Trubel, außerdem ist Samstag, was ebenfalls nicht zur Beruhigung beiträgt. Ich schlage vor, das Glück nicht weiter auszuloten, sondern hier Station zu machen, um dem Regen auszuweichen (in Argentat wären wir ja auch geblieben). Das gewünschte Hotel ist leider complet. also fahren wir doch weiter in Richtung Saint-Céré.

Um dort hinzukommen, müssen wir durch Bretenoux, wo sich heute alle treffen, die ein funktionsfähiges Transportmittel ihr eigen nennen. Wir gehören eindeutig dazu und schlängeln uns notgedrungen durch Straßen, über Bürgersteige, über Kreisel usw. Nächsten Samstag müssen sie allerdings ohne uns auskommen.

Viel Regen im Land, wenig Wasser im Kanal.

Das Mittagessen verlegen wir an den Kanal in Saint-Céré. Die Hauptattraktion sind zwei Schwäne, die ein paar Meter entfernt ihre Mittagstoilette vollziehen und dabei immer wieder Federn lassen, die wie kleine Schiffe mit der Strömung weiter ziehen. Das erinnert uns daran, dass auch wir irgendwie weitermachen wollen.

Per Logis-Katalog machen wir uns auf die Suche in der Umgebung. Die erste Wahl ist bereits ausgebucht, das liegt am Sommer, der zweite Anruf bringt mehr Erfolg. Den Weg dorthin haben wir uns jedoch anders vorgestellt: Die ersten drei Kilometer rollen wir munter am Kanal, dann kommt der Kreisel und die Schilder weisen mal wieder aufwärts; fünf Kilometer Serpentinen, 13 Kilometer Hügellandschaft.

Hier wollten wohl nicht viele bergauf.
Unten wäre es bestimmt ebenso schön gewesen.
Nur noch elf Kilometer.
Saint-Céré in weiter Ferne.

Irgendwie meistern wir auch diesen Aufstieg und fahren mitten in die örtliche Duld. Das Lion d’Or liegt direkt daneben, auf der Terrasse einige Gäste, der Patron begrüßt uns freudig. Er wirkt wie Gargantua und entpuppt sich als großer Rugby-Fan. Nachdem wir uns eingerichtet haben, gehen wir runter, kurz darauf bricht draußen der lange erwartete Regen nieder und füllt die Fahrgeschäfte der Schausteller. Einer trägt's mit besonderem Humor, er spielt die passende Musik.

In der Höhle des Löwen.

Leider ist im Hotel nicht alles so, wie es sein sollte. Das WiFi funktioniert nicht, die Tür von Bad und Klo lässt sich nicht schließen, von der Restaurant-Decke blättert die Farbe ab und zum feinen Wein-Menu werden angestoßene Teller und billige Gläser auf den Tisch gestellt – das Verhältnis von Preis und Leistung stimmt hinten und vorne nicht.

Martine, die Kellnerin im ärmellosen schwarzen Zelt, steht dem Chef in Sachen Leibesfülle in nichts nach, die ukrainische Praktikantin trägt die Speisen auf einem Silbertablett, Martine platziert die Teller auf dem Tisch, annonciert die Gerichte und klemmt sich dann die Serviette wieder unter die Achsel. Dem Zuspruch der Gäste tut das übrigens keinen Abbruch. Während unserer Zeit im Restaurant zählen wir 32 besetzte Plätze.

La langue d'oc.

Der Rummel vor der Tür inspiriert uns zum Bummel durch die Gassen. Am überdachten Markt feiern die Gramatiens den baskischen Abend des lokalen Sportvereins mit passender Tracht, passendem Essen, passender Musik und passender Stimmung. Eigentlich können wir uns den Weg nach Saint-Jean-de-Luz fast schon sparen. Ich frage einen Passanten, ob er aus dem Ort kommt, er versteht mich nicht, schaut aber, als hätte ich seine Familie ausgelöscht. Sein Begleiter übersetzt, verneint und zieht ihn weiter.




Auf der Duld geben sich Kinder und Erwachsene dem kostspieligen Treiben hin. Ein Vater wirft an der Münzschiebe immer wieder nach und trainiert dabei gleich den dreiköpfigen Nachwuchs, andere Eltern versuchen ein Stofftier fürs Kind mit einem Greifarm zu fangen, der jedoch immer genau dann wieder loslässt, wenn man meint, alles im Griff zu haben. Das Mädchen nölt, die Eltern werfen nach – insgesamt scheint diese Attraktion ein besonders gutes Geschäft zu sein, denn allein von diesem System stehen ca. 40–50 Spielplätze zur Verfügung.

Feier-Abend in Gramat.

Wir haben genug gesehen. Morgen fahren wir weiter. Denn es soll nicht regnen, aber ab Mittwoch soll es heiß werden, und da ist jeder bereits gefahrene Tag ein gewonnener Tag.