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Sonntag, 24. Juli 2011

23.07. Jour de repos: Cuisery–Cuisery (56,58 km, 2:26:18) (Absence de marquage)

„Auch 48 Zähne können beißen.“

So eine Ruhetag ist eine tolle Sache, man kann z.B. morgens länger ruhen. Nach dem Frühstück wollen wir dann mal ausprobieren, wie sich eine Strecke, die wir schon oft mit den Rennrädern gefahren sind, mit den Reiserädern fährt. Diese Strecke ist nicht übertrieben lang, bietet aber alles, was man sich wünschen kann: gerade Stücke, steile Anstiege, lange Abfahrten, Stadtverkehr, kleine Orte und Landschaft satt.

Vor dem Haus fängt uns der Chef persönlich ab, wirft einen fragenden Blick auf die Räder und meint: „Sind die neu oder frisch lackiert?“ Da weiß man: Es ist Zeit, los zu fahren. Wasser kaufen wir gegenüber bei Colruyt, dem einzigen Supermarkt in Cuisery. Der Laden sieht außen aus wie alle, innen aber ganz anders: Es ist ziemlich dunkel (das kann an der Sonnenbrille liegen), es sieht aus wie in einem Lager, die Kassiererinnen müssen stehen und die Waren der Kunden beim Kassieren in einen leeren Einkaufswagen umräumen.

Bei dem Kunden vor mir ist das besonders spannend. Er fährt etwa 15 bis 20 Flaschen Wein und einen riesengroßes Paket Hundefutter spazieren. Abgesehen von dieser sehr speziellen Kombination ist auch die Mischung der Weine beachtlich, es sind keine zwei Flaschen der gleichen Sorte dabei. Wahrscheinlich will er übers Wochenende alle mal durchprobieren und danach entscheiden, welchen er am Montag kauft.

Mo fällt der Mann auch auf. Sie sieht, wie er mit der hochkant im Wagen stehenden Hundefutterpackung aus der Tür kommt und mangels Sicht gegen eine der vier Metallstreben fährt, die den Eingang vom Parkplatz trennen. Das hätte ich auch gern gesehen.

Hier kommt nicht jeder durch.

Los jetzt! Die Strecke verläuft entlang der Seille, gleich im ersten Ort die bei uns weltberühmte „Mauer von Loisy“, die sich mit knapp 1.000 Kilometern Anlauf aber recht gut fahren lässt.

Wo der Bürgermeister von Loisy-sur-Seille seine Arbeitszeit verbringt.
Erinnert an Lübeck, liegt aber an der Seille.

Weiter geht's durch Huilly, wo sich eine Hausbesitzerin sichtlich freut, dass die Tour endlich auch mal bei ihr vorbeikommt. Danach der obligatorische Blick auf die Seille und weiter in Richtung Savigny, das wir so schnell wie noch nie zuvor erreichen. Auffällig bisher ist die über viele Kilometer sorgsam neu asphaltierte Straße, da haben die Gemeinden unsere seit Jahren üppig entrichtete Kurtaxe wohl zusammengelegt und ausgesprochen sinnvoll investiert. Dass die Markierung noch nicht aufgebracht ist, können wir verschmerzen.

Der SPAR-Markt in Louhans ist Anlaufstelle für unseren Einkauf, leider erweist er sich primär als Haltestelle, denn heute kauft Familie Dupont für ihr Fest am Wochenende ein. Salate, Platten, Brote, Kuchen, Chips und weiß der Henker, was sonst noch alles, werden vor, hinter und durch die Kasse rausgetragen. Der Chef persönlich räumt den Einkaufswagen aus und sagt der Kassiererin, was sie eintippen soll – er ist völlig aus dem Maisonchen (vielleicht hat er aber auch nur bei Colruyt gelernt?).

Am Ende hat sich die Aufregung für SPAR jedenfalls gelohnt. Madame Dupont schreibt einen Scheck über 729 Euro aus, da hätte ich mit meinen läppischen 2,70 eigentlich viel länger warten müssen.

Gespeist wird in La Chapelle-Naudé; über Montpont-en-Bresse, Romenay und Ratenelle fahren wir zurück ins Hotel. Insgesamt waren wir fast so schnell wie mit den Rennrädern, sind aber längst nicht so schlapp. Das liegt an der komfortableren Sitzposition, dem größeren Spektrum der Schaltung und den etwas geringeren Spitzen in der Übersetzung.

Konkret heißt das: Bergauf kann man viele Gänge leichter schalten und ist nicht so fertig, wenn man oben ankommt, bergab und auf gerader Strecke hat man mit 48 statt 53 Zähnen auf dem großen Blatt immer noch genug Widerstand, um sehr schnell vorwärts zu kommen und seinen Muskeln weh zu tun. Oder wie Mo es formuliert: „Auch 48 Zähne können beißen.“

Das Abendessen bestreiten wir mit Foie gras, Verrine de lapin und Carré d'agneau. An den Nachbartischen einerseits die französische Mutter mit den beiden Jungs, die sehr interessiert und hoch konzentriert von der Vorspeise bis zum Dessert jedes Detail kosten bzw. aufsaugen, andererseits das niederländische Ehepaar mit dem Jungen und dem Mädchen, die nicht wissen, was sie tun, wie sie es tun und warum sie es tun. Speziell das Mädchen sollte seit mindestens einer Stunde im Bett liegen, und als die Mutter das endlich akzeptiert, will auch der Junge sofort abgelegt werden.

Beim Toilettenbesuch treffe ich vor der Schiebetür einen weiteren Jungen von vielleicht zehn Jahren an, der verzweifelt an der Tür drückt. Ich schiebe sie freundlich zur Seite, er jauchzt vor Freude, stürzt in den Raum und verschwindet gleich hinter der nächsten Schiebetür. Da fällt mir glatt mein Pfadfinder-Motto wieder ein.

Zurück im Restaurant reden wir über die Spitze der Alterspyramide. Am Tisch schräg gegenüber sitzt ein Ehepaar in den Achtzigern, ihm fällt das Leben schon sichtlich schwer, sie erinnert an Mutter Riele und hat die Angelegenheit gut im Griff. Beide essen ausladend und mit sichtbarer Freude an der Sache. Beide sind rank und schlank, das macht uns Mut für die Zukunft.

Als sie aufbrechen, sieht man, wie viel Mühe ihm das Stehen und Gehen macht, sie dagegen versammelt sich am Tisch wie ein Springpferd vor dem Ochser – und raus geht's.

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