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Freitag, 29. Juli 2011

29.07. 9ème ètape: Saligny-sur-Roudon–Saint-Pourçain-sur-Sioule (53,42 km, 2:41:38) (Marquage effacé)

Nabelschnur, Fohlen, Nabelschnur

Wenn die Arbeit nicht wäre, wären wir heute früh aufgebrochen. So packen wir zeitig, (Büro)arbeiten anschließend und erleben noch ein paar ganz besondere Details in Sachen Pferdezucht.

So fängt ein sonniger Tag an.

Irgendwann kommt Ineke in den Anbau und verkündet, dass eines der Fohlen erneut und an praktisch der gleichen Stelle am rechten Vorderbein verletzt ist. Sie macht sich mit einer der Praktikantinnen auf und holt das Fohlen samt passender Stute von der Weide zum Verarzten in das kleine Viereck beim Stall.

Die erste Untersuchung zeigt: Es sieht schlimmer aus als es ist.

Nach Untersuchung des ca. einjährigen Nachwuchses wird gleich dessen Mutter untersucht.  Sie allerdings eher innerlich, weil die Züchterinnen auf eine erneute Schwangerschaft hoffen, um die Stute – nun mit Einlage – besser verkaufen zu können. Das Ultraschallgerät zeigt einen vollen Erfolg: Die Stute trägt, und mit etwas Hilfe seitens der Fachfrau kann auch der Laie Nabelschnur, Fohlen, Nabelschnur erkennen.

Richtiger Nachwuchs, falsches Datum.
Letzter Blick aufs Schloss von Saligny-sur-Roudon.

Nun wird es aber wirklich Zeit! Um Ballast zu sparen, lassen wir auch hier einige der schweren Stücke zurück (so hat man evtl. einen Grund, zurück zu kommen), lehnen sogar die Einladung zum Mittagessen ab und brechen kurz nach zwölf auf. Dass zumindest der Verzicht aufs Essen ein Fehler war, merken wir relativ schnell, denn auf den folgenden Hügeln meldet der Körper massiv Hunger an. Wir fügen uns nach zwölf Kilometern und quälen uns die etwa 15-prozentige Steigung nach Saint-Leon hoch. Chez Mimi et Loulou gibt's Plat du jour mit Fernsehuntermalung und computerspielendem Nachwuchs.

Beim Entrée (Tomatensalat mit Bohnen und Eiern) fällt uns ein, dass wir die sechs hartgekochten Proviant-Eier in Saligny vergessen haben (sicher kann Christine sie wieder in einem ihrer wunderbaren Salate verwerten), das Poulet mit Frites ist sehr lecker, und zum Nachtisch verwöhnt uns Mimi mit halbflüssigem Fondant au chocolat bzw. bester Mövenpick Eis-Auswahl.

Die Nachrichten im Fernsehen berichten über irgendwelche Volltrottel, die die Foie Gras von der Anuga verbannen wollen, mit dem Gerät im Rücken erkenne ich kurz darauf die Carglass-Reklame am penetranten Tonfall der Testimonials, am Ende singt die gute Tante: „Carglass repare, Carglass remplace.“ Auf Deutsch singen sie zur selben Melodie: Carglass repariert, Carglass bauscht auf“, was ich nie verstanden habe.

Für den nächsten Spot drehe ich mich gerne um. Die französische Reklame hat den tätowierten Migranten als Zielgruppe entdeckt, und weil auch er gut riechen soll, muss ihm der üppig tätowierte Migrantendarsteller im Fernsehen ein 48-Stunden-Deo verkaufen. Vor dem Packshot kommt dann noch kurz seine ebenfalls tätowierte Migranteuse ins Bild und sagt, dass sie ihren Freund dafür liebe (oder so ähnlich). Jedenfalls hat sie sich „LOVE“ in die Handfläche sticken lassen.

Und der kleine Nick schickt wieder zwei Mirages.

Den Weg nach Châtelperron könnte man erhebende Abfahrt nennen. Er führt knapp fünf Kilometer lang spürbar, aber angenehm bergab, wir fahren konstant über 35 km/h und Mo jauchzt von hinten als säße sie auf einem Pferd. Auch hier hat der Autoverkehr wieder Opfer gefordert, ein ziemlich bedeutender Kollateral-Hase säumt unseren Weg.

Links und rechts der Straße bietet die Grande Nation Paysage ohne Ende und hinter jeder Ecke beginnt eine neue Weide mit Charollais-Rindern. Diese Tiere haben übrigens ein ganz besonderes Sozialverhalten: Auf einer Weide hat sich die gesamte Herde hingelegt und bringt dem Nachwuchs hingebungsvoll das Wiederkäuen bei.

Der Namenspatron ist weit entfernt.
Exakt so stellt man sich das vor en France, fehlt nur noch ein Schloss ums Eck.
Wie wär's mit diesem: prächtig, aber ziemlich unbewohnt in Jaligny-sur-Besbre.

Wir fahren weiter entlang der Straße der Mühlen, bis wir nach links auf die D21 abbiegen. Ausweislich eines Schildes am Eingang des Waldes führt die Straße mitten durch den „Fôret de la Maison de Retraite de la Guyotte“. Das dazu passende Altersheim sehen wir kurz vor Varennes-sur-Allier, es erinnert stark an ähnliche Einrichtungen in den Edgar-Wallace-Filmen mit Eddie Arendt, Karin Dor, Elisabeth Flickenschildt, Klaus Kinski, Joachim Fuchsberger und wie sie alle heißen bzw. hießen.

Als wir den Ort der Feier passierten, dachte ich an Kindergeburtstag mit überforderter Mutter.
Der unglückliche Gesichtsausdruck gehört aber offensichtlich der Braut.

Ein paar Meter hinter Varennes-sur-Allier hört der Spaß erstmal auf, wir biegen ab in Richtung Saint-Pourçain-sur-Sioule, unserem heutigen Tagesziel. Die Straße erinnert an den Autobahnzubringer vor Chalon-sur-Saône, nur ohne Regen. Leider fehlt zudem der breite Seitenstreifen, was die Lkw ein wenig näher an unsere Packtaschen heranrücken lässt. Das geht irgendwie gegen Mos Verständnis von Fahrrad-Reise, weshalb wir vor der Allier-Brücke nochmal zwecks Alternative auf die Karte schauen.

Wir finden eine kleine Nebenroute und als wir uns dieser nähern, sehen wir eine Gruppe von ca. zehn Freizeitradler im Rentenalter. Sie bieten uns an, uns in den Ort mitzunehmen, was eine sehr interessante Erfahrung wird. Zum einen sieht man, wie sich die Leute das Radfahren selbst schwer machen, zum anderen, dass sie wohl einen Gruppenrabatt bei Decathlon bekommen haben und nun alle Trikots, Rucksäcke usw. der D-Marken tragen. Die vermeintlich ortskundige Rentnerband führt uns ins lokale Industriegebiet und dort direktemang in eine Sackgasse, die am Tor von Louis Vuitton endet.

Wir drehen gemeinsam ab, ein anderes Gruppenmitglied übernimmt die Führung, und am Ende liefern sie uns vor dem lokalen Office du Tourisme ab. Wir bedanken uns, wünschen gute Fahrt, und ich gehe hinein. Die Dame dort ist freundlich, stattet uns mit einer detaillierten Karte der Auvergne aus, und das gesuchte Hotel ist schräg gegenüber.

Nach dem Duschen zwanzig Minuten Ruhepause, dann zum Apéritif auf die Promenade. Wir setzen uns direkt an die hoch frequentierte Durchgangsstraße, das ist kein Problem, denn wir wollen nicht schwätzen, sondern gucken. Außer Lastern und hoch drehenden Mopeds ist wenig zu hören, nur vom Nachbartisch kriegen wir viel mit. Da sitzt eine fünfköpfige Gruppe von Männern aus NL/BE/SE/DK oder so, die beständig Biere bringen lassen oder gleich selbst holen. Sie sprechen auch viel miteinander und stellen den Straßenverkehr damit locker in den Schatten. Schön, dass wir sie nicht verstehen.

Wir essen im Haus, die Küche ist sehr gut. Mo darf gleich zum Start eine Pastete vernaschen, ich nehme die Hecht-Timbale. Danach muss ein Barsch für sie sterben, während ich eine Wachtel niederringe. Der lokale Wein passt sehr gut dazu und verträgt sich auch prima mit den Auvergne-Käsen.

Was stört, ist der Service. Erst wird nicht nachgeschenkt, dann das Brot nicht gebracht, dann sehe ich, wie im Office Besteckteile runterfallen, aufgehoben, an der Hose abgewischt und an einen der Tische gebracht werden. Der Oberkellner kommt mit abgeräumten Tellern zurück und legt im Vorübergehen ein nicht gegessenes Petit pain mit der Hand zurück in den Brotkorb, unser Kellner macht die Krümel nicht weg, bevor er das Dessert bringt (und das Eis in Saint-Leon war auch deutlich besser) – es ist zum Davonlaufen!

Das machen wir sofort nach dem Kaffee. Dem Paar am Nachbartisch platzt ebenfalls in Kürze der Kragen, bevor wir alles abkriegen, gehen wir schlafen. Wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns ...