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Donnerstag, 4. August 2011

02.08. 13ème étape: Le Mont-Dore–Ydes (65,14 km, 3:50:22) (Chaussée deformée)

Deswegen haben die Deutschen den Bierdeckel erfunden.

Beim Frühstück mit echten Haferflocken (Mo war völlig baff, dass es so was in Frankreich gibt) fällt uns ein kleiner Mann mit leicht nach außen gebogenen Beinen und Waden wie Betonquader auf. Sein Schritt ist determiniert, der seiner Gattin ebenfalls, wir tippen auf passionierte Wanderer. Beim Verlassen des Raumes fragt er, ob wir Französisch sprechen und welchen Sport wir denn so betreiben (wir haben ja die bunten Leibchen an).

Er äußert sein Wohlgefallen und outet sich auf Gegenfrage tatsächlich als Wanderer. Dann platzt er auf Deutsch heraus, dass er aus Paris komme, die Sprache früher gelernt habe, aber leider nicht genug praktiziere. Schwupp, schon ist er die Treppe raufgehuscht und weg. Mit der bunthaarigen Frau (Typ: Stylistin mit Hund und großer, goldener Umhängetasche), die sich zum Croissant einen Becher bionorm Schoko (französisch halt) anrührt, sprechen wir nicht.

Die Vulkane überragen hier einfach alles.

Stattdessen fahren wir auf dem Weg durch die Stadt nochmal beim Bäcker von gestern Nachmittag vorbei, um ihm seine Spezialität abzukaufen.

Wer weiß, wie's heißt, weiß auch, wie's schmeckt.

Den Aufstieg in Richtung La Tour d'Auvergne teilen wir mit engagierten Rennradlern, das allein macht Mo schon sehr skeptisch bezüglich des Schwierigkeitsgrades. Immerhin: Die Jungs ahnen, was wir leisten und zollen vor allem Mo immer wieder Respekt. Auf jeder neu erklommenen Höhe gönnen wir uns ausgiebige Rundblicke, der Weg wirkt wie ein Wanderweg im Südschwarzwald, allerdings mit der Einschränkung, dass er als echte Straße genutzt wird. Und der Straßenbelag ist vom motorisierten Touristenstrom sichtbar gezeichnet.



Die schattige Idylle wirkt dennoch ansteckend, Mo meint, sie sei noch nie so schön bergauf gefahren, gemeinsam stimmen wir „Im Frühtau zu Berge“ an, da steht rechts das gelbe Schild mit den großen, schwarzen Lettern FIN DE CHANTIER. Wir hören auf zu singen.

Bevor wir La Tour d'Auvergne erreichen, passieren wir ein archaisches Kreuz, die örtliche Langlauf-Station (also doch Ski-Gebiet) und sind von rund 17 Kilometern etwa zwölf hoch und fünf runter gefahren.

Frühchristliche Kunst in über 1.000 m Höhe.
Nach der Auffahrt ist vor der Abfahrt (gilt leider auch umgekehrt).

La Tour d'Auvergne ist ein langweiliges Bergdorf mit hoher Touristendichte. Wir verfahren uns und schauen einem etwa 10-jährigen Jungen zu, der von Netzen geschützt Trampolin übt. Er schlägt Salti vorwärts wie rückwärts und springt wie der Teufel. Der Weg danach ist hügelig, wir hören erstmals auf dieser Reise Kuhglocken, leider versaut uns der Conseil Régional die frisch asphaltierte Abfahrt kilometerlang mit Gravillon.

Der Turm, der der Stadt ihren Namen gab.
Der heiße Reifen hat in Frankreich eine lange Tradition.

Den Mittag verbringen wir wieder mit Baguette und Käse auf einer frisch gemähten Wiese, auf der wir einen Großteil der Sachen aus einer von Mos Packtaschen zum Trocknen auslegen; leider war die vermeintlich fest verschlossene Packung mit Casinos Apfelsaft teilweise ausgelaufen. Als wir fertig sind, kommt der Bauer zum Heuwenden. Da hat er aber Glück gehabt, dass ihm Mos Klamotten nicht mehr im Weg liegen.

Und nach dem Mittagessen ein Bäuerchen.

In unserem Radreiseführer Südwest-Frankreich hat Mo einen interessanten Abstecher zum Château de Val entdeckt, einem alten Schloss, das einst über der Dordogne thronte, im Zuge der Aufstauung aber zum Wasserschloss mutierte. Das möchten wir sehen, fahren aber an der falschen Stelle ab. Statt weitem Ausblick geht es drei Kilometer steilst nach unten ans Ufer der Dordogne, wo uns hektisches Strandleben empfängt.

Das Château steht direkt vor uns, von hier blicken wir eher auf See und Berge. So heißt es, in der Hitze umdrehen und die Räder langsam wieder bergauf schieben, denn fahren ist bei dieser Steigung nicht drin.
 
Einst fernes Schloss, heute Strandkulisse: Château de Val.

Die weitere Abfahrt nach Bort-les-Orgues verlangt uns dann nochmal alles ab: neun Prozent Gefälle auf zwei Kilometer, da glühen die Felgen, und ich bin froh, dass ich die Bremsen am Vortag (zufällig!) nachgezogen hatte. Bei Carrefour füllen wir unsere Wasservorräte, wir sind ziemlich fertig, fahren aber weiter, denn der Ort ist wenig einladend.

Letzter Halt vor dem Abstecher ins Grüne.

Der weitere Weg führt in Richtung Champagnac und Sérandon. Dieser Weg wird kein leichter sein (nein, da gibt's keinen link), wenigstens verläuft die Steigung zunächst überwiegend im Schatten. Kurz von Champagnac geben wir auf. Ich frage Leute, die hinter ihrem Haus im Garten sitzen, nach einem Hotel, erst zucken alle die Schultern, dann fällt ihnen das Hotel des Voyageurs in Ydes ein. Ich reserviere ein Zimmer, wir fahren die steile Abfahrt hinunter (das müssen wir morgen alles wieder hoch) und finden das Haus.

Der Mann hinter dem Tresen sieht aus wie ein ehemaliger Gewichtheber oder Catcher, er freut sich sichtlich und macht einen sehr netten Eindruck. Wir gehen aufs Zimmer, erschrecken, duschen und ruhen aber trotzdem, wir haben ja keine Alternative.

Das ist der Beweis: Fotografie schönt die Wirklichkeit.

Um 19 Uhr gehen wir zum Essen runter, nun steht eine Gewichtheberin hinter dem Tresen, die übers ganze Gesicht strahlt und uns zwei Stella Artois zum Apéritif zapft, bzw. was man in Frankreich zapfen nennt. Auch sie kann Deutsch, denn ein Teil ihrer Familie kommt aus der deutschen Schweiz.

Wir setzen uns raus, reden über den Tag, planen den nächsten, und weil eine Wespe sich immer mehr für das Bier interessiert, legt Mo unseren o.g. Radreiseführer drauf. Da tönt es vom Nachbartisch: Deswegen haben die Deutschen den Bierdeckel erfunden“. Der Töner sitzt dort mit seiner Frau, er dunkelblonde Föhnwelle à la Roland Kaiser, sie einfache Dauerwelle.

Er nennt sich einen pensionierten Professor für Germanistik (wir tippen maximal auf Deutschlehrer), lebt gleich um die Ecke im Haus seiner verstorbenen Mutter und hat väterliche Wurzeln in Kirchzarten. Den Schlegelhof kennt er und empfiehlt zudem die Sonne. Und als er hört, woher wir kommen, schwärmt er von einem „sehr guten Hotel“ in Saint-Gervais-d'Auvergne. Wir waren vor ein paar Tagen da.

Irgendwann gehen wir zum Essen rein, nun ist die Chefin wieder mit Deutsch dran. Positiver Nebeneffekt, manchmal bringt sie ein Tellerchen mit: Assiette de jambonneau, Salade au Tomate, Tartiflette Salade, Käse, Fromage blanc myrtilles, Eclair, Café. Bis halb zehn wird viel Deutsch gesprochen, alle sind unglaublich herzlich, und wir haben nach einem schweren Tag einen tollen Abend. Im Rausgehen fragt der Professor, ob wir auch Akademiker seien. Ich antworte „Manchmal“.

Kurz nach zehn liegen wir im superweichen Bett und versuchen, die einmal eingenommene Schlafposition mittels Muskelkraft zu halten. In der Nacht schüttet es.