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Samstag, 13. August 2011

08.08. 18ème étape: Cahors–Villefranche-de-Rouergue (87,04 km, 4:47:27) (Arbres inclines)

„Das heißt nicht nur Clos, das stinkt auch so.“

Nachdem wir gestern gen Westen gefahren sind, versuchen wir's heute auf der anderen Seite des Flusses gen Osten. Zunächst verfahren wir uns, weil wir glauben, eine Zufahrt zum „Circuit des Vallées du Lot et du Célé“ gefunden zu haben, der allerdings, wie wir später feststellen dürfen, erst zwanzig Kilometer weiter östlich beginnt.

Südlich des Lot hinaus aus Cahors.

Unser kompetenter Rad-Reiseführer schickt uns auf die D911, die dem Namen alle Ehre macht und hohe Geschwindigkeiten erlaubt. Vor Arcambal sehen wir die ersten Weinberge, hoffentlich schmeckt die Brühe nicht so, wie es dort riecht.

In Arcambal verlassen wir die Straße, fahren anweisungskonform nach Galessie und stehen dort vor der Wahl: Entweder „... im Dorf erneut links. Das winzige Sträßchen folgt dem Lot und stößt dann nach einer Rechtskurve zur D49, der man links über den Lot folgt.“ oder „Wen eine Steigung nicht schreckt, der ... sollte der D6 weiter bergauf folgen ... in Payranne geht es dann wieder hinab zum Lot.“ Wir haben genug Steigungen erschreckt und wählen deshalb die erste Variante.

Hinter Galessie stürzt das winzige Sträßchen den Berg hinunter, wir erreichen den Lot und stellen fest, dass es weit und breit keine Brücke gibt. Nur eine stillgelegte Eisenbahnstrecke und die Fortsetzung unserer Straße mit anderen Mitteln; was gerade noch steil bergab führte, quält uns nun ebenso steil, aber deutlich länger bergauf. Mit jedem Meter werde ich mir sicherer, dass der Autor unseres Büchleins diese Strecke nicht bewältigt hat, sondern mit seinem Camper oben herum gefahren ist und die Alternative nach flüchtiger Ansicht der Karte erdacht hat. Am höchsten Punkt wird diese Annahme zur Gewissheit; von rechts trifft die Straße aus Payranne auf unsere Steilstrecke, und wir nehmen den Camper-Radler mit zur Brücke über den Lot.

„... und die sich dabei bietenden herrlichen Ausblicke genießen.“

Hinter Vers beginnt dann tatsächlich der Circuit, den wir bereits vor 23 Jahren einmal mit weit aufgerissenen Augen im Auto gefolgt sind. Der Verkehr ist der Mittagszeit gemäß und damit erträglich, die Kulisse ist immer noch ein Traum, den man nicht erzählen kann. Leider sind die Film-Versuche kläglich gescheitert, da ich immer zur falschen Zeit dachte, die Kamerafunktion sei aus- bzw. angeschaltet. So habe ich mehrere beeindruckende Filme über die Rückseite meiner Lenkertasche gedreht.

Vor Bouzies und vor allem bevor die Reitergruppe kam.


Wirkt schroff, ist aber ganz lieb.

Zum Mittagessen schleppen wir die Räder ein Stück weg von der Straße auf ein totes Gleis, das über eine alte Brücke führt. Einem passierenden Wanderer gefällt das.

Während Mo Baguette mit Käse kombiniert, verbinde ich Telefon und Rechner, um einen morgens begonnenen Job zu Ende zu bringen und die Daten zu übertragen. Das gelingt zwar, leider macht der Mac aber immer mehr Sperenzchen, so dass eine sichere Nutzung immer unsicherer wird. Dass parallel die ersten Regentropfen fallen, macht die Sache auch nicht besser.

Mittags auf dem Abstellgleis bei Saint-Martin-Labouval.
Nicht auf Sand, sondern in den Fels gebaut.
Früher überraschte uns der Lot mit Tabakplantagen, heute langweilt die Nutzfläche mit Mais.
Auf unseren letzten Metern entlang des Circuit.

Auf dem weiteren Weg nutzen wir den einsetzenden Regen und eine offene Scheune, um die mitgeführte Honigmelone zu zerfleischen. Bis Cajarc setzen wir die Reise auf dem nördlichen Ufer des Lot fort, in Cajarc setzen wir uns erstmal vor eine Bar und trinken zwei Cafés. Der Logis-Führer verhilft uns zum nächsten Hotel, es liegt auf der anderen Seite des Flusses in Villefranche-de-Rouergue, und der Patron sagt mir gleich am Telefon, wo wir die Räder abstellen können.

Auf schmalem Pfad über den Lot.
Hier hat alles seine Ordnung und jede Schüssel ihr Becken.
„Blöd gucken kann ich auch.“

Den Weg zum Hotel beschreibt unser Reiseführerlein so: „Hinter Cajarc beginnt ... ein längerer, aber recht ruhiger Anstieg. Danach bleibt man auf der Höhe und erreicht an immer lichter werdenden Bäumen vorbei schließlich Villefranche-de-Rouergue.“

Tatsächlich geht es lange bergauf, aber sobald man oben ist, beginnt der Kampf gegen die Hügel, die leider klar im Vorteil sind, weil sie ihre Position über Jahrhunderte optimieren konnten. Was die Sache zusätzlich erschwert, ist ein plötzlich auftauchender Wegweiser zu unserem Hotel, der geradewegs auf eine neue, zweispurige Route Nationale führt, die zwei Hügel über ein tiefes Tal verbindet und wie dafür geschaffen scheint, todesmutige Radler im Anstieg von beschwingten Lkw überrollen zu lassen.

Wir wagen uns bis zur Mitte des einen Anstiegs und machen dann lieber doch kehrt, um einen zweiten Weg durch die Stadt zu suchen. Was das Paperback verschweigt: Die Stadt liegt tief unten, so dass wir mehrere Kilometer bergauf zurück müssen. Auf der Straße geht das nicht, denn sie ist so schmal, dass es kaum für das Müllauto reicht. Also schieben wir, bis die Breite zumindest theoretisch wieder genug Raum für Auto und Radfahrer vorsieht. Von dort sind es noch fünf Kilometer, überwiegend steil aufwärts.

Immerhin, das Hotel entschädigt für einiges. Mo kann gleich ins Wasser gehen, die Zimmer sind top renoviert und sehr geschmackvoll ausgestattet. Und sowohl das Abendessen als auch der Service zählen zum Besten, was wir bisher auf unserer Reise erfahren haben: Foie gras de Canard maison au Mauzac, Gelée de Pommes acidulées, Filet de Bar rôti, Grenadin de Veau de l'Aveyron, eine fantastische Sélection de Fromages affinés du Terroir plus lecker Nachtisch.

Dazu hat Monsieur Boulliard einen Weißwein unseres regionalen Lieblingsweinguts (wir kennen ja kein anderes in der Region). Dass sie auch Weißwein machen, wussten wir bis dato gar nicht.

07.08. 17ème étape: Gramat–Cahors (60,01 km, 2:59:21) (Prudence - voies retrecies)

„Dass ich solch eine Strecke noch einmal erleben durfte!“

Monsieur persönlich serviert das Frühstück, üppige Viennoiserie, hauseigene Marmeladen, guter Joghurt. Wir packen trotzdem unsere Siebensachen, fahren zwecks Einkauf zu Casino contact und machen uns anschließend auf der D807 in Richtung Saint-Géry.

Anfangs geht es schön rauf und runter mit teilweise langen Abfahrten, auf denen wir über 60 km/h fahren können. Gut, dass wir ausgeschlafen sind.

Hinterm Tor lugt Frankreich hervor.
Die Erde ist eine Scheibe.

Nach etwa 22 Kilometern erreichen wir Labastide-Murat, wo der sonntägliche Markt für Jubel, Trubel, Heiterkeit und hohes Verkehrsaufkommen sorgt. Nebenbei wird auch noch Vieh verkauft, was der Vielfalt der Geräusche ausgesprochen zuträglich ist. Wir setzen uns mitten rein, gönnen uns einen Riegel und fahren irgendwann doch auf der D32 weiter in Richtung Süden.

Ganz ohne Trubel: Mittagszeit in Labastide-Murat.

Was folgt, ist die bislang tollste Abfahrt unserer Tour: rund 24 Kilometer runter, weiter runter und anschließend abwärts, Mo kann es kaum fassen. Bei Saint-Sauveur-la-Vallée fahren wir ins Tal des Vers ein, eine Frau schüttelt am Fenster die Betten und freut sich sichtlich, dass ich ihr im Vorübersausen einen guten Tag wünsche.

Langsam wird's wieder Zeit für weitere Nahrungsaufnahme, so dass wir uns einen schönen Platz suchen und schon bald in Form einer Wiese auch tatsächlich finden. Eine Stunde lang vertreiben wir uns die Zeit mit sitzen, essen, gucken und freuen.

Mittags im schönsten Tal.
Der kommt kaum über die Grenzen der Region hinaus.
Das Schönste: Wir müssen nicht hinauf.

Kurz hinter Fontaine Polemie erreichen wir die D663, auf der wir nach rechts unseren Weg bis Vers fortsetzen. Hier fließt der gleichnamige Fluss in den Lot.

Ein Ort, der heißt wie ein Fluss, der heißt wie ein Ort.
Der Lot auf dem Weg in die Garonne.
Nearer my God to thee.

Von Vers sind es noch knapp 15 Kilometer nach Cahors, dem Ziel unserer heutigen Etappe. Die Strecke ist weiterhin très agréable: rechts die schroffen Felsen, links der träge plätschernde Lot, der sich mal mehr, mal weniger von uns entfernt.

Kurz vor Laroque-des-Arts überholt uns mit hoher Geschwindigkeit ein Wohnwagengespann; vorne ein weißer Van, dahinter ein gleichfarbiger Wohnwagen mit dem Aufdruck „Challenger“. Ich denke noch, „der hat's aber eilig, auf den Campingplatz zu kommen“, da donnert schon das nächste Gespann in ähnlicher Konstellation vorbei. Unterbrochen von einigen Pkw rast Lützows wilde, verwegene Jagd anschließend mit mindestens 30 Fahrzeugkombinationen immer schneller und immer enger an uns vorbei.

Ich schimpfe wie ein Rohrspatz und als wir die Truppe am nächsten Campingplatz einholen (so schnell geht es nicht mit dem Einchecken), mache ich aus meinem Herzen ebenfalls keine Mördergrube, sondern erläutere den Herrschaften en passant und mit allen Feinheiten meiner Muttersprache, was genau ich von ihnen und ihrer Fahrweise halte.

Wenig später kommt die Kolonne erneut vorbei. Noch schneller, noch enger und diesmal unter teils wildem Hupen. Ich schließe daraus, dass die Truppe  a) auf dem Campingplatz nicht genug Platz gefunden hat und die Fahrer mich  b) sehr gut verstanden haben. Mo ist sicher längst an die Seite gefahren, ich spiele noch ein bisschen mit meinem Leben und stelle mich irgendwann auch auf den Grünstreifen.

Hier habe ich Zeit und Muße, mir die Rasenden näher anzuschauen, und stelle fest, dass es sich wohl um den Umzug eines Zigeuner-Clans handelt. Erst Papa mit dem Wohnwagen, dann Mama im Pkw mit den Kindern. Da haben die Aktionen des kleinen Nick im letzten Jahr wohl doch nicht das gewünschte Ergebnis gebracht. Mo kommt etwas später und ärgert sich, dass ich weiter gefahren bin und mich auf diesen Blödsinn eingelassen habe. Was soll ich sagen?

Wir fahren weiter nach Cahors, zum Schluss einen guten Kilometer hinauf nach „Centre Ville“, wo wir feststellen, dass die Innenstadt nicht das historische Zentrum der Stadt ist. Also fahren wir auf einer anderen Straße wieder runter.

Franzosen „können“ Plätze, Ausnahmen bestätigen die Regel.
Idyllische Lage an der ehemaligen Schleuse.

Das Office de Tourisme empfiehlt uns ein Hotel auf der anderen Seite des Lot, es sei frisch renoviert. Wir buchen unser Zimmer, fahren die kurze Strecke und kommen ein bisschen zur Ruhe. Während Mo das Zimmer aussucht, spreche ich mit einer Frau aus Lyon, die an einer Familienfeier im Restaurant teilnimmt. 58 Menschen aus ganz Frankreich feiern Noce d'or mit dem hörbar glücklichen Ehepaar. So macht ein Familienfest auch Menschen Spaß, die gar nicht zur Familie gehören.

Und zum Abendessen geht's wieder zurück in die Stadt.

Abendessen ist schwierig, denn sonntags haben auch in Cahors viele Restaurants geschlossen. Wir suchen lange vergeblich und landen schließlich in einer Brasserie an der Hauptstraße, die ganz stolz darauf ist, dass sie das ganze Menu auf einem Teller serviert: ein paar Salatblätter, einen Hauptgang und ein Stück Käse. Wir haben Hunger, der Kellner ist flott und fröhlich, alles wird gut.