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Dienstag, 27. November 2012

4. Juni 2012, der sechsundzwanzigste Tag: Saint-Gervais–Le Pellerin, 114,26 km


Nach mieser Nacht in bunter Plastikwäsche und entsprechend starker Hitzeentwicklung erwarten uns im umgenutzten Restaurant ein maues Frühstück und eine Chefin, die mit gequältem Lächeln vorgibt, ihren Fehler vom Vorabend vergessen machen zu wollen.

So richtig überzeugend kommt das aber nicht rüber, wir machen uns schon vor neun und ohne Wehmut wieder auf den Weg. In Beauvoir-sur-Mer steht rechts der Straße ein Intermarché zum Einkauf bereit, später kommt uns auf der D51 in Richtung l'Epoids ein kalter Wind aus West entgegen. Entlang der Straßen sehen wir überall flache, einfache Katen.

Flach, glatt, schwarz. Und wir fahren espresso

Über die D758 erreichen wir Bouin, auf der D118 den Port du Collet. Über die schmale, steile Brücke tragen wir unsere bepackten Räder und fahren nach kurzer Verschnaufpause an der Küste weiter in Richtung Les Moutiers-en-Retz, wo uns – viel zu früh – die örtliche Laterne des morts erwartet.


Treppauf, ...

... auf, auf! ...

... treppab

Ab Les Moutiers-en-Retz und La Bernerie-en-Retz wird's zweisprachig („Vous ȇtes en Bretagne!“), links und rechts der Straßen ziehen plötzlich viel schönere Orte und Häuser vorbei. In La Thébauderie verrät uns ein nicht-bretonischer Einheimischer, dass die Menschen hier einerseits erklärte Bretonen sind, andererseits aber nichts mit den Namensgebern von der anderen Seite des Kanals gemein haben wollen. Ein Dilemma, auf das sie außerdem keinesfalls angesprochen werden möchten.

Look yeah, but don't park

Ein paar Kilometer weiter weist uns ein Schild den Weg zum Dolmen de la Joselière. Den kennen wir nicht, nur die Neugier treibt uns hinaus an die Küste. Wie gewohnt finden wir den gesuchten Ort erstmal nicht, aber ein älteres Ehepaar schickt uns in die richtige Richtung. Der Platz vor dem Dolmen ist perfekt für unser Mittagessen. Das Meer ist in Hör- und Sichtweite und für Unterhaltung ist ebenfalls gesorgt:

Ein Paar trägt seinen Hund abseits des Weges spazieren und entwickelt dabei ein Verhaltensmuster, das allen Beteiligten gut zu gefallen scheint: Wenn Herrchen ihn absetzt, läuft der Hund fröhlich weg und Frauchen muss ihn wieder holen. Dann trägt sie den Gefangenen zurück in Herrchens Arme, der setzt ihn ab usw. usf. Wir hätten stundenlang zuschauen können.

Willkommen im Neolithikum

Willkommen in der Bretagne

Pornic ist toll, wir kommen durch schöne Straßenzüge und feine Wohnviertel, da fährt man gerne nochmal hin. Auch wenn's beschwerlich ist: erst hoch in die Hügel, dann runter an die Hafen-City und von dort steil wieder hinauf.

Urlaub vom Feinsten

Etwas weiter nördlich erreichen wir Saint-Michel-Chef-Chef, wo die leckeren Kekse wachsen, und direkt danach Saint-Brevin-les-Pins, wo ich nach einigem Fahren durch die weitläufigen Pinienwälder und entlang des Boulevard de l'Océan tatsächlich den Campingplatz wiederfinde, auf dem ich 1972 mit einem automobilen Freund meinen ersten Campingurlaub verlebte.


Der Franzose schleimt sich ein

Kinder, wie die Zeit nicht vergeht

Im Ort nehmen wir einen Café an der verkehrsreichsten Kreuzung, dann besuchen wir das nächstliegende Maison de la Presse, um den Radführer nach Nevers zu kaufen. Die offenherzige Verkäuferin hat ihn leider nicht, lässt mich aber tief in ihre Auslagen schauen (wo hab' ich nur die Kamera?), dann schickt sie mich zu E. Leclerc, so dass ich mich vom lokalen Angebot losreißen muss.

Leclerc hat tatsächlich den gesuchten Guide, und wir stellen erfreut fest, dass wir vor dem Supermarkt genau am Ausgangspunkt der Strecke stehen. Weiter geht es in Richtung Paimboeuf, wo wir leider keine Unterkunft finden.

Café am Verkehrsknoten von Saint-Brevin-les-Pins

Also fahren wir weiter ostwärts an einem Kanal entlang, die Loire-Mündung verschwindet langsam außer Sichtweite. Unterwegs sehen wir viele Kühe, viel Landwirtschaft, viele Heuballen und viel Industrie. Außerdem ist plötzlich der Kuckuck wieder da (an der Küste war keiner) und begleitet uns mit seinen Rufen.


Die Strecke führt schnurgeradeaus durch eintöniges Gebiet, langsam geht uns die Kraft aus, der Tag ist bereits deutlich länger geworden als gedacht bzw. gewünscht. Anlässlich einer Biopause überholt uns ein Rollerfahrer, der alle zwei, drei Tritte das Bein wechselt und mit dieser Technik und hohem Körpereinsatz ein sensationelles Tempo vorlegt. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir ihn später noch eingeholt hätten.


Vorn der Kanal, im Hintergrund die Loire

Kurz vor La Martinière nähern wir uns wieder der Loire. In dem kleinen Ort selbst gibt es keine Bleibe, aber ein munterer Anwohner empfiehlt uns augenzwinkernd das Top-Hotel in Le Pellerin. Meine Gegenfrage nach der Zahl der Sterne quittiert er mit schulter- und schenkelklopfender Ausgelassenheit, wir freuen uns auf Tisch und Bett. Irgendwo muss da auch eine Bac über die Loire sein.

Nach knapp 115 km ergattern wir 20 km vor Nantes und direkt am Ufer der Loire ein Zimmer für 55 Euro. Der Patron ist sehr freundlich, das Zimmer zeigt, dass er mit kleinem Aufwand und großen Ideen eine Menge aus dem Hotel gemacht hat. Es ist unser zweites Domizil ohne Tür zwischen Schlaf- und Badezimmer.

Unten im Lokal – wie soll man's nennen: Kneipe, Bistrot, Resto? – gibt's Salat, Pizza und irgendwas Schweinisches mit Pommes. Dazu einen ordentlichen Roten aus Saumur, danach Nougat glacé und zwei Café. Leistung und Preis sind gleichermaßen in Ordnung.

Um elf schlafen alle.

Abendlicher Blick auf den Fluss, der uns die nächsten hunderte Kilometer begleiten wird

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