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Dienstag, 25. Dezember 2012

9. Juni 2012, der einunddreißigste Tag: Blois–Orléans, 88,14 km

Endlich Schlossherrin!

Frühstück dans la chambre. Mo weiß nicht mehr, wo sie ist. Um die Verwirrung zu komplettieren, buche ich gleich mal ein Hotel in Orléans.

Vor der Abfahrt geht's erst noch zum nahen Post-Palast. Draußen bettelt Ayshe, drinnen gibt es viele Schalter, vor jedem steht eine ordentliche Schlange. Weit und breit ist nur ein Mitarbeiter zu sehen. Viele Kunden drängen sich vor Automaten, so stellen sich Lieschen Müller und ich die Spielkasinos in Las Vegas vor.

Eine Kundin am Ende einer Schlange berät mich zwecks Markenkauf am Automaten. Als ich gehe, ist sie keinen Schritt vorwärts gekommen, und der Schalter ist nach wie vor unbesetzt. Vor meinem inneren Auge wird die Post am Südbahnhof zum Amt für Hochgeschwindigkeit.

Wir fahren zum nahen 8 à huit und dem Bäcker direkt daneben. Centre ville füllt sich langsam mit einkaufenden Menschen, 9.25 Ausfahrt über den Pont Jacques Gabriel.

Ostwärts raus aus Blois

Nach ein paar Metern am anderen Loire-Ufer geht's rechts ab ins Land: Vineuil, Huisseau-sur-Cosson, Chambord. Unterwegs überholen wir einen in sich gekehrten Wanderer, und ich frage mich, ob er wohl auch zum Château will.

Rund vier Kilometer vor dem Château werden wir von der Straße in den Wald geschickt, um am Ende des Weges doch wieder auf der Straße zu landen. Der Blick aufs Château ist frei, Mo ist glücklich, wir fahren an alle möglichen Punkte rundum, machen Fotos und schauen den anderen Touristen zu.

Auf dem weitläufigen Rasen vor dem Schloss trabt und galoppiert eine junge Frau. Ich fahre rüber und frage einen Mann, der von der nahen Mauer zuschaut, ob sie wohl die Prinzessin ist. Er kann das fröhlich verneinen, denn sie gehört zu seiner Truppe von Schauspielern und Artisten, die 2x täglich ein Ritter-Spektakel für zahlende Besucher darbieten.

Radweg in Stein gemeißelt

Chambord einerseits

Chambord andererseits

Gegen elf nehmen wir zwei Petit crème auf der Terrasse des Hotels gegenüber und telefonieren mit den mehr und minder Lieben daheim. Um halb zwölf fahren wir weiter, kurz hinter dem Parkplatz kommt uns der Wanderer von vorhin entgegen – Chapeau!

Den königlichen Forst verlassen wir in nördlicher Richtung nach Saint-Dyé-sur-Loire, unterwegs sehen wir mehr Radwanderer als in allen Wochen zuvor sowie viele Kurzradler, die für ihre kurzen Wege Räder gemietet haben. Bei Muides-sur-Loire nutzen wir die ausladende Aire am Flussufer zu einer etwas weniger ausladenden Mittagspause, danach über die Brücke und am Fluss entlang in Richtung Beaugency.

Da müssen sie durch, die großen und kleinen Radfahrer

Unterwegs haben viele Stadtväter den Radlern ein Geschenk gemacht, indem sie üppige Mengen von Split auf den Betonwegen ausbringen ließen, besonders in Kurven erhöht dies die allgemeine Verkehrssicherheit ungemein.

Château Beaugency 2.0

600 Jahre Krieg um 23 Bögen

Die Abbaye direkt am Fluss, heute fest in Touristenhand

In Beaugency besuchen wir nach intensiver Beratung durch eine Einheimische die Église abbatiale Notre-Dame, drinnen üben sie Ave Maria, draußen trommelt der Fanfarenzug aus Autainville ein Brautpaar in Richtung Altar.


Alle warten, dann kommt der Pfarrer in naturweiss mit schmucker oranger Schärpe. Genug gesehen, alle gehen rein, wir fahren weiter.


Höchste Zeit zu heiraten

Bis Meung-sur-Loire wird die Strecke übel: Schlaglöcher, überhängende Zweige und viele Kurven, im Ort verfahren wir uns, dann weiter über eine Brücke und auf einen Damm, der das südliche Ufer vor dem Wasser schützt.

Schön, dass wir wieder auf dem Damm sind

Mit Tempo 30+ schmelzen die Kilometer bis Saint-Hilaire-Saint-Mesmin nur so dahin. Irgendwo bei Saint-Pryvé-Saint-Mesmin verfahren wir uns erneut, sehen uns aber auf einem guten Weg zu dem heute früh reservierten Hotel. Wir kaufen noch ein bisschen fürs Frühstück ein und kurbeln weiter gen Saint-Jean-le-Blanc.

Nach skeptischer Fahrt durch eine schmale, von allerlei hängendem Gestrüpp überwucherten Passage sprechen wir mit zwei jungen Frauen, die uns am Eingang der Passage vorgelassen hatten, und erreichen schließlich das Hotel – fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, umgeben von Bau- und Gartenmärkten.

Weit und breit keine Möglichkeit zur Nahrungsaufnahme; das mögen wir nicht.

Johanna im Herzen der Stadt

Es ist 17.22 Uhr, wir düsen ins Zentrum. Zwanzig Minuten später haben wir einen Hotelführer aus dem Office de Tourisme und täuschen im ursprünglich gebuchten Hotel telefonisch eine Panne vor, um die Absage zu rechtfertigen. Das Grand Hotel hat ein Zimmer für uns, wir satteln ab, duschen und gehen essen.

Vorher noch ein kleiner Rundgang durch die Altstadt, dann l'Ardoise: Fusion de Thon blanc et Poulpes, Pressé de Lapin, Variations de Caille, Crépinette de Pied de Cochon et son Mignon. So weit, so gut.

Beim Käse gibt's Ärger, denn die Kellnerin will nicht akzeptieren, dass ein Gast lieber lokale Käse hätte als das Durchschnittsgedöns mit Camembert & Consorten. Der Kellner fasst zur Strafe noch mit seinen Fingern an meinen Sablé, naja ...

Die Kathedrale, die in Street View nicht wiederzuerkennen ist

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