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Freitag, 13. Juli 2012

21. Mai 2012, der zwölfte Tag: Nissan-lez-Enserune–Homps, 59,42 km

Au Canal du Muddy

Im Lauf der Nacht hat es heftig geregnet, wir frühstücken im Zimmer und schauen auf das bisschen grauen Himmel, das wir von unserem Fenster aus sehen können. Der Regen hört dann doch noch auf, wir ziehen uns wind- und wetterfest an und machen uns schon vor neun auf den Weg nach Narbonne.

Das lässt sich mit dem geplanten Kirchenbesuch schlecht an, denn sie öffnet ihre Türen erst um zehn. Mit dem Weg nach Salles-d'Aude ist es auch nicht besser, er hat zwar geöffnet, der Gegenwind ist aber derart heftig, dass wir entnervt umdrehen und uns gleich in Richtung Canal du Midi orientieren. Das heißt zunächst: bergauf in Richtung Oppidum d'Ensérune.

Von der alten Festung übers neue Land

Romantischer Eingang, ...

... leider kein Ausgang

Oben angekommen, verlieren wir erneut Zeit, weil wir versuchen, dem Kanal durch einen Tunnel zu folgen. Der schmale Pfad an der Seite ist schwer zu meistern und hört am anderen Ende ohne Vorwarnung auf, so dass wir ein Stück schwimmen oder zurück müssen. Wir schieben also zurück, irren wieder ein wenig durch die Umgebung und finden endlich den Zugang zum Kanal: Ein vom Regen der letzten Tage aufgeweichter Wiesenpfad verläuft parallel zum Wasser – so haben wir uns das absolut nicht vorgestellt.

Wenn das ein Radweg ist, möchte man kein Radfahrer sein

Wir verlassen den Matsch, so schnell wir können, und fahren zurück auf die Straße. Das ist allerdings auch keine Lösung, denn sie liegt ein gutes Stück höher und außerhalb der dichten Baumreihen, ist damit ungeschützt und ein Paradies für den Wind, der uns um die Ohren pfeift. Hinter Capestang wechseln wir auf gut Glück immer wieder hin und her, nach ein paar Kilometern biegen wir entnervt auf die D13 in Richtung Ouveillan und weiter nach Sallèles-d'Aude ab.

Bei Maria und Stefan in Capestang

Monumentale Ruhe vor Ouveillan

Entlang der D124 fahren wir weiter westwärts, selten oberhalb des Kanals und gegen den stärker werdenden Wind auf der Straße, meist im Windschatten der Bäume durch den immer tiefer werdenden Matsch am Ufer. Dort unten kommt uns irgendwann ein Tandem entgegen, anfangs parlieren wir auf Französisch, dann setzt sich bei dem anderen Pärchen der englische Akzent durch, und wir machen der Qual durch einen Wechsel ins Englische ein Ende.

Die Kollegen berichten vom noch(!) schlechter (!!) werdenden Weg und von schweren Stürzen in anderen Gruppen, denen sie begegnet sind. Sie selbst sind erst ein Mal zu Boden gegangen und wundern sich, wie sie das geschafft haben. Wir erfahren, dass das Fahren mit dem Wind leichter und angenehmer ist und dass er zum Schutz vor dem Regen eine Duschhaube unter dem Helm trägt, während sie unsere gelben Überzüge favorisiert. Zum Abschied schenkt er uns noch einen Teil seiner Straßenkarte und gibt uns mit verschwörerischer Miene eine Erkenntnis mit den Weg: „You'll get muddy.“

Minervois aude Aude?

Seine Frau empfiehlt uns ein Restaurant am Hafen von Homps, unter blauer Markise seien sie dort freundlichst empfangen und leckerst bekocht worden – „and there's also an Auberge nearby“.

Die ernstzunehmenden Warnungen und der tatsächlich schlechter werdende Weg führen uns erneut auf die Straße, wo der Wind für uns die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft setzt: Nach einem Einkauf in Roubia fahren wir die D124 ein paar Hundert Meter, dann geht es steil bergab, aber die Räder rollen gegen den Wind nicht hinunter. Erst kräftiges Treten bringt uns vorwärts, die Situation bringt uns eher zur Verzweiflung.

Links sehe ich den Kanal, wir fahren auf einem Ackerweg hin, um an dessen Ende festzustellen, dass es dort nicht weitergeht. In einiger Entfernung ist wenigstens eine Schleuse zu sehen. Wir stapfen schiebend durch den lehmigen Boden eines frisch umgepflügten Ackers. Der Schleusenwärter hat Mitleid und lässt uns (was generell strengstens verboten ist) die Räder über das Schleusentor schieben, auf der anderen Seite angekommen, versuchen wir, unsere Schuhe zumindest notdürftig zu säubern.

Dem ist doch nichts hinzuzufügen

Wenigstens hat mittlerweile der Regen aufgehört, und gegen fünf kommen wir ziemlich geschafft in Homps an. Eine Einheimische, die ich anspreche, kennt keine „auberge nearby“, sondern nur Chambres d’hôtes. Die beiden von ihr genannten Adressen fahren wir an, beide gefallen uns nicht so. In der Ortsmitte sehen wir dann auf einer großen Informationstafel doch die Werbung eines Hotels, das sogar ein bezahlbares Zimmer für uns frei hat. Ein Pärchen ohne Gepäck steht neben uns und kommt kurz nach uns ebenfalls am Hotel an.

Der Patron, Monsieur Scheiwiller, schickt uns mit verschmierten Schuhe die Treppe hoch, wir säubern sie dort, wo wir auch uns säubern: in der Wanne. Hoffentlich sind sie morgen wieder trocken. An die blaue Markise denken wir nicht mehr, erfreulicherweise ist das 22-Euro-Menü im Hause jeden Centime wert. Das Pärchen ohne Gepäck kommt höchst aufgedüst zum Essen, da muss es irgendwo einen Gepäcktransporteur geben.

Zum guten Schluss die weniger warmen Worte der Gattin: „Es ist saukalt, der Wind wird immer stärker, mir kommt's vor wie November. Canal du Midi? Vergiss es!“

Wo der Kanal den Fluss überquert, macht der Matsch eine kurze Pause

20. Mai 2012, der elfte Tag: Palavas-les-Flots–Nissan-lez-Enserune

Vier Zylinder westwärts

Um sieben Uhr schauen wir auf die Straße, draußen geht die Welt unter, und die Prognose sagt, dass sich daran erstmal nichts ändern wird. Wir fragen an der Rezeption, ob wir eine Nacht verlängern können, und stellen den Wecker auf halb neun.

Während des späten Frühstücks überlegen wir, ob es wirklich sinnvoll ist, einen ganzen Tag in einem Hotelzimmer in Palavas-les-Flots zu verbringen. Der Ort ist hässlich, es gibt absolut nichts zu tun oder zu sehen, und wenn wir Pech haben, sieht es morgen früh auch nicht besser aus. Und das bei relativ hohen Kosten, wenn wir Zimmerpreis und Abendessen von gestern addieren.

Irgend jemand fragt: „Wo wollten wir heute eigentlich hin, und was kostet ein Taxi dorthin?“

Im Logis-Verzeichnis finden wir ein Hotel westlich von Béziers, das erstens erreichbar und zweitens einladend wirkt. Man hat Platz für uns, wir reservieren. Unten an der Rezeption streicht der Patron persönlich unsere Verlängerung vom Morgen und kümmert sich um ein Taxi. Dessen Angebot ist günstiger als das Bleiben es wäre, also nehmen wir an (schon klar, damit verdoppeln sich heute die Kosten, dafür sind wir aber auch eine Etappe weiter).

Wo wir wohnen, ...

Das Taxi kommt etwas früher, Mo ist noch einkaufen, ich helfe dem Fahrer beim Verstauen der Räder und interviewe eine Gruppe amerikanischer StudentInnen, die sehr sommerlich bekleidet das Hotel überschwemmen. Sie sind vor zwei Tagen in Paris gelandet, haben gerade Avignon besichtigt („Oh, it's so nice!“), bleiben zwei Tage am Meer und fahren dann für drei Tage nach Toulouse. Von dort geht's zurück nach Paris und wieder in die USA. Na, dafür lohnt sich doch jeder Interkontinentalflug.

Unser Chauffeur schimpft unterwegs auf alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Die schlechte Infrastruktur der Region (weil alles Geld in die Touristenorte am Meer gepumpt wird), die wachsende Bürokratie im Land, die hohen Steuern, den Niedergang seines ehemaligen Berufes (er war Schlachter, aber: „Le métier est mort“) usw. usf.

Nach einer Stunde erreichen wir Nissan-lez-Enserune, irgendwo unterwegs hat der Regen aufgehört, wir schöpfen Hoffnung. Im Hotel gibt man uns ein nettes Swarovski-Zimmer im Annexe, wir essen das Mitgebrachte, schlafen bis sechs und spazieren anschließend durch den Ort.

... wo die Liebe wohnt, ...

... wo der Bürgermeister wohnt

Das Abendessen beginnt mit einem Apéritif im Altbau, der kleine Salon ist zauberhaft möbliert, am Nachbartisch sitzt ein Mann, der mich an unseren Elektriker erinnert, und aus dem Fernseher an der Wand schallt eine französische Talkrunde.

Zum Essen müssen wir ins Nachbarhaus, der Juniorchef bedient gemeinsam mit einer Mittzwanzigerin, sie wirkt anfangs etwas unbeholfen, erweist sich aber sehr schnell als hoch professionell. Hervorragendes Essen gibt's auch: Tartare de Saumon frais à l’ananas et poivre de séchuan und Souris d'agneau cuite 48h au romarin, poêlée de légumes glacés de saison für Madame, Marbré de Foie gras et Confit de Canard, toast aux céréales und Côte de Cochon cuite à basse température, cocotte d'écrasée au lard fumé et son jus réduit für Monsieur. Letzteres übrigens ein echter Hammer – super-saftig und nahezu fettfrei.

Dazu müssen wir leckeren Wein trinken, und am Ende zwingen sie uns auch noch, Soufflé coulant au chocolat, Glace confiture de lait bzw. Baba au rhum cubique chantilly maison zu essen. Es ist zum Verrücktwerden!

Abends leider geschlossen, wir schauen morgen mal rein