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Mittwoch, 15. August 2012

27. Mai 2012, der achtzehnte Tag: Langon–Bordeaux, 70,21 km

Vom feinsten Wein ans Ufer des Wassers

Der Tag fängt gut an: Morgens gibt's erstmal Ärger wegen Mos Motivation, und ich bin gedanklich schon wieder auf dem Heimweg. „So nicht!“ schallt es mir entgegen, Madame möchte unbedingt weiter und verspricht, weniger zu jammern.

Nach dem Frühstück fahren wir auf der D125 nach Sauternes, suchen und finden das Château d'Yquem, das auf unsere Ankunft vorbereitet scheint und alle Zufahrten abgeriegelt hat. Dafür ist die weitere Strecke auf den kleinen Landstraßen durch Graves schön und geht vor allem schön rauf und runter. Überall steht der Wein an überraschend kleinen Stöcken.

Sauternes, sauteuer

Wir folgen weiter der D125, die sich nach Landiras schlängelt, wo uns der sonntägliche Markt erwartet. Es ist noch früh, aber wir nutzen natürlich die Gelegenheit und decken uns mit allerlei Essbarem ein.

Ein ganz besonderer Glücksgriff sind drei komische Tomaten, die so schrullig aussehen, dass sie einfach optimal zu uns passen.

In Cabanac-et-Villagrains sehen wir am Ortsende eine junge Frau, die frische Austern verkauft. Erst düsen wir vorbei, dann drehen wir um und erstehen zwei ansprechende Exemplare, die sie fröhlich für uns öffnet. Man muss sich wundern, wie gut Austern schmecken, wenn sie gestern noch in ihrem Bassin waren ...

Auf dem Markt der Ochsenherzen

In La Brède finden wir einen schattigen Platz zum Mittagessen. Zwischen uns und einer weiteren mobilen Austern-Verkaufsstelle steht ein Tisch, den ein Pärchen mit Weingläsern bevölkert. Ich ringe dem Austernfischer sieben seiner Erzeugnisse für zwei Euro ab, er macht sie auf, findet eine passable Transportunterlage, und das Pärchen am Tischchen hebt anlässlich meines Vorübergehens die Gläser und gibt mir ein „Bon appétit“ mit auf den Weg.


Anfangs schaut uns nur der Baron de Montesqieu beim Essen zu, später gesellen sich zwei Liegeradler zu ihm, die unbedingt mit uns ins Gespräch kommen wollen. Es sind Norweger, die in Bordeaux leben, früher auch viel mit dem Rad reisten und seit einiger Zeit in die Horizontale umgestiegen sind, da die Gattin Probleme mit Armen und Schultern hat. Am Ende des Gesprächs schenken sie uns eine Bordeaux-Straßenkarte, die uns sehr gelegen kommt (wir sind mal wieder mangelhaft vorbereitet) und die sie sich jederzeit wieder im Office du Tourisme aneignen können.


Mittagessen mit Montesqieu

Es sind jetzt noch etwa 20 Kilometer bis in die wichtigste Stadt Südwestfrankreichs. Wir fahren durch schöne, sichtlich wohlhabende Vororte, durch absolut hässliche Stadtteile, vorbei am Gare Saint-Jean und stehen um halb fünf mitten auf der Place de la Victoire.

Unsere Frage nach dem Stadtzentrum beantwortet eine dentaltechnisch unterversorgte Einheimische kopfschüttelnd mit dem Hinweis, das wir bereits mittendrin seien und einer Wegweisung in die Rue Sainte-Cathérine – da hätten wir fünf Kilometer Centre ville. Die Fußgängerzone ist düster und wirkt billig, wir essen gleich vorne an der Ecke zur Rue des Augustins ein Sieben-Euro-Eis und fühlen uns so unwohl, dass wir nicht bleiben, sondern lieber schnell wieder fahren wollen.

Aber wenn wir nun schon mal da sind, können wir der Straße ja ruhig noch ein Stück weit folgen.

Im Radumdrehen von der Poverté zur Pracht

Unser touristischer Mut wird reich belohnt: Die Straße wird heller, schöner, breiter und führt in eine wirklich prachtvolle Innenstadt. Jetzt muss erstmal ein Hotel her, und zwar fix.


Unser Führer schickt uns in die Rue Huguerie, eine ruhige Straße in einem Viertel mit vielen kleinen Stadthotels, die es sich (und hoffentlich auch ihren Gästen) in den alten Bürgerhäusern gemütlich gemacht haben. Unseres hat seinen Hinterhof zu einem lebendigen Jardin umgebaut, der von vier neu erbauten Zimmern begrenzt wird; in einem davon werden wir die Nacht verbringen.


Die Schwangere an der Rezeption trägt das hautenge Kleine Schwarze, gibt uns Tipps fürs Abendessen und fragt ob ich französische Vorfahren habe – endlich mal jemand der der Schreibweise Rechnung trägt.


Rechts die Opéra National de Bordeaux, hinten das Monument aux Girondins mit schrägem Vogel

So kann es ausssehen, wenn man nah am Wasser gebaut hat

Wir duschen sehr schnell, flanieren dann knapp zwei Stunden durchs Zentrum und sind völlig von den Socken. Die Stadt hat zwar nur rund als 250.000 Einwohner, beeindruckt aber durch ihre großzügige Anlage, unzählige sensationelle Bauwerke und eine unglaubliche Kombination von Geschäften und Geschichte, Restaurants und Restaurierung, Klima und Kathedrale.

Ein technisches und gestalterisches Highlight erwartet uns am Ufer der Garonne: Le miroir d'eau. Auf rund dreienhalbtausend Quadratmetern tummeln sich Jung und Alt im zwei Zentimeter hohen Wasser, in dem sich die Place de la Bourse mit den sie umschließenden Bauten spiegeln könnte, wenn, ja wenn Jung und Alt sich nicht im Wasser tummelten, sondern dessen Oberfläche spiegelglatt wäre.

An der Garonne vergnügt man sich gern auf dem Wasserspiegel

Fazit der Flaneure: In einer Stadt, die Richard II. von England und den kleinen Nick zu ihren Kindern zählt, wäre man selbst gern zu Hause. Wir beschließen, zumindest zu Hause zu essen. Nahe der Place Gambetta verköstlicht man uns mit einem 800g-Entrecôte sowie Frites et Salade à volonté. Dazu einen regionalen Rotwein, der ruhig so gut hätte sein können wie der von gestern Abend an der Mautstation.

Auf dem Rückweg zum Hotel freuen wir uns schon auf die Fahrt durch die Stadt morgen früh.

Was neben dem Tisch passiert oder Das Auge isst mit