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Donnerstag, 16. August 2012

28. Mai 2012, der neunzehnte Tag: Bordeaux–Arès, 91,88 km


Pfingstmontag, schönes Wetter, das macht früh munter. Die Gruppe von ca. 15 Franzosen, die sich ab halb acht an der langen Tafel vor unserem Zimmer zusammenfindet, erlebt das sehr intensiv und lässt uns umfänglich daran teilhaben.

Wir frühstücken indoors, sind früh fertig und haben etwas mehr Zeit für unsere Ehrenrunde durch die Stadt. Erst geht's durch die (noch) völlig stillen Straßen unseres Quartiers, dann nehmen wir einen Café an der Kathedrale und fahren von dort runter an die Garonne zum Wasserspiegel. Ein paar Jogger, ein paar Radler, wir folgen dem Ufer ein Stück und dann nach links quer über die Esplanade des Quinconces in den Jardin public.

Nicht nur wir schlafen morgens gerne etwas länger

Viele Körper, wenig Leben

Aus der Innenstadt fahren wir in südwestlicher Richtung nach Saint-Augustin, wo wir lernen, dass in Bordeaux' Vororten sogar am Pfingstmontag früh und intensiv gearbeitet wird. Zum einen in unzähligen kleinen Lebensmittelläden, Bäck- und Metzgereien, zum anderen in der Automobilbranche.

Zuerst höre ich in einiger Entfernung das hohe Pfeifen einer verstörten Alarmanlage, dann kommen wir völlig unvorbereitet an dessen Ausgangspunkt vorbei: Ein gepflegter 5er-BMW steht in unserer Fahrtrichtung links an der Straße, an seiner rechten Seite lehnt mit der Brust ein Mann, dessen linker Arm locker auf dem Dach des Wagens liegt. Seine rechte Hand sehe ich durch die Heckscheide, sie wühlt sich zielsicher durch die auf der hinteren Ablage platzierten Türen und Taschen.

Der Gauner lächelt entspannt, fehlt nur noch, dass er mir mit der freien Hand zuwinkt. Als ich Mo frage, ob sie's auch gesehen hat, ist sie entsetzt: „Was? Am helllichten Tag?“ So hat sie das zuhause nicht gelernt, da kommen die Verbrecher immer sonntags nach der Tagesschau, wenn es draußen dunkel ist.

Ein Bäcker, der weiß, was seine KundInnen denken

Kein Happy-End: das Ciné-Théâtre Girondin

Unser Weg führt weiter durch Pessac, einen sichtlich wohlhabenden Vorort, und an dessen Grenze auf die mit dem Lineal gezogene D1250, der wir die nächsten 30 Kilometer nach Westen folgen.

Anfangs fahren wir allein, nach einer kurzen Pause bei Pierroton hängt sich ein Rennradler an Mos Hinterrad. Da wir kein Taxibetrieb sind, macht mich diese Form der Beförderung von Mitfahrern immer ziemlich unruhig. Im konkreten Fall läuft es aber sehr gut, denn der Kollege taucht nach einigen Kilometern neben mir auf und schlägt vor, dass er ja auch mal vorn fahren könnte.

Das kommt gut an, wir wechseln uns etwa alle drei Kilometer ab und jagen mit einem Schnitt von über 30 km/h auf die Atlantikküste zu. Madame mosert nicht, sondern tritt, der Mitreißende verabschiedet sich bei Le Teich und empfiehlt einen Besuch im örtlichen Parc Ornithologique, für den unsere Zeit aber leider nicht reicht.

Denn im Office du Tourisme erfahren wir, dass unsere Transbassin um 14 Uhr in Arcachon ablegt. Und wir hatten noch kein Mittagessen!

Ende Mai = menschenleer

Am Strand von Arcachon trifft man komische Figuren

Viel Zeit bleibt uns nicht, aber wir sind ja gut vorbereitet und kommen tatsächlich zehn Minuten vor Abfahrt in Arcachon an. Nun gilt es, den Jetée Thiers zu finden und dort rechtzeitig anzukommen. Mo würde lieber schwimmen gehen, aber dafür ist genauso wenig Zeit wie für die Vögel.

Wir fragen uns durch, brettern über hölzerne Strandstege (ist ja noch nichts los) und erreichen quasi mit dem Glockenschlag den Ticketverkauf. Da wir nicht die einzigen Spätankömmlinge sind, hält die Verkäuferin das Boot per Funk auf, und wir kommen deutlich vor den anderen am Bootsanleger an. Die gewonnene Zeit können wir gut gebrauchen, denn wir müssen abpacken – die Räder werden aufs Dach der Barkasse gehievt, wir schleppen uns mit den Taschen nach vorne zum maritimen Chauffeur.

Links oben fremdes Rad, links unten befremdlicher Hinweis

Gegen halb drei erreichen wir Cap Ferret, fahren direkt zum Strand auf der anderen Seite des Zipfels – und essen erstmal was. Anschließend ziehen wir uns hinter einem zufällig vor uns stehenden Sichtschutz um, Mo geht schwimmen, ich schaue den Strandbesuchern zu. Es herrscht ein reges Kommen und Gehen, und unter beiden Gruppen befinden sich auffallend viele junge Mädchen mit Surfbrettern.

Ich schwimme in der zweiten Schicht: Das Wasser ist elend kalt (mein gestählter Schwager würde sagen: lauwarm) und sehr bewegt. Nach zehn Minuten halte ich es nicht mehr aus.

Man sieht, wie der Strand genannt wird: l'Horizon

Der Wind macht den Büschen hübsche Frisuren

Erst um halb fünf fahren wir weiter, eine lockere Schraube am hinteren Schutzblech (nein, kein Scherz) hält uns zusätzlich auf. Und natürlich gibt es weit und breit kein Hotel, das wir mögen könnten, die nächsten vermuten wir in Arès, das ist mehr als 30 Kilometer entfernt an der Nordspitze des Bassins.

Die Voie verte führt durch endlose Pinienwälder und vorbei an riesigen Campingplätzen, spät erreichen wir den Ort. Es ist Vorsaison, trotzdem stehen die Autos in langer Schlange in Richtung zurück nach Bordeaux. Die Hotelsuche gestaltet sich schwierig. Das eine mögen wir nicht, das andere mag uns nicht, um kurz nach sieben haben wir endlich eins gefunden. Das Haus liegt ein Stück abseits, aber in der Nähe gibt es ein Restaurant, das im Vorüberfahren einen akzeptablen Eindruck macht (wir fahren vorüber, nicht das Restaurant).

Kurz nach acht sitzen wir im „l'Incontournable“, das sich wie eine Pizzeria präsentiert, aber als ganz normales Restaurant entpuppt. Mutter und Tochter bedienen uns sehr freundlich, das Essen ist leckerst (Austern, Dorade, Crème brûlée) und der Wein super.

Das Bett ist zu kurz. Alle schlafen gut.