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Freitag, 17. August 2012

29. Mai 2012, der zwanzigste Tag: Arès–Soulac-sur-Mer, 107,88 km

Wo die nackten Kerle Urlaub machen

Unser Hotel macht seinem Namen gleich beim Frühstück alle Ehre. Maritimes Ambiente mit Sand von fremden Gestaden in heimischen Gläsern, alles ist hübsch dekoriert. Am Tisch gibt's leckeres Brot und hausgemachte Marmelade, am Nachbartisch sitzen zwei Handwerker, die ihre Arbeit hoffentlich ernster nehmen als ihr Frühstück.

Kurz nach neun fahren wir nach rechts aus der Hoteleinfahrt und auf der Avenue de la Libération ins Ortszentrum. Direkt um die sehenswerte Kirche sind alle erforderlichen Angebote versammelt, wir ziehen uns ordentlich an und kaufen, was das Zeug hält. Die Kassiererin bei Carrefour trällert ein munteres „J'arrive!“ durch den Laden, am Längerwerden der Schlange kann man abmessen, wie ernst sie das nimmt.

Ein Bäcker, der nicht zu viel von seinen Kunden sehen möchte

Arbeitsteilung 2012: Einer kauft ein, einer knipst ab

Auf einer ehemaligen Bahnstrecke, dem Chemin de Gleysaou, rollt unser Frankreich-Express zügig nach Le Porge und von dort weiter nach Lacanau, einem Schwerpunkt der regionalen Tourismus-Szene, die sich hinter dem Dünenstrand rund um zwei großen Süßwasser-Seen ausbreitet. Ein paar Kilometer nördlich des Ortes wechseln wir auf eine lange Strecke durchs Dünen-, Hügel- und Mücken-Reservat.

Auf alter Trasse zu neuen Ufern

Der Weg ist steil und kurvig und führt durch weitläufige Wohnanlagen in den Hügeln zwischen den Seen. Es ist praktisch menschenleer und relativ dunkel, denn der dichte Pinienwald lässt kaum Licht nach unten durch. Die Lage ist eigentlich optimal: nah genug und dabei weit genug entfernt vom Strand.

Im Wald unweit von Hourtin-Plage gibt's nach 65 Kilometern Mittagessen, anschließend sind wir so gestärkt, dass wir erstmal fünf Kilometer Umweg machen, bevor wir die Straße nach Montalivet-les-Bains gefunden haben.

In Sachen Kahlschlag ist der Franzose absolut auf der Höhe

Verkehrs-Infrastrukturmaßnahmen können so natürlich wirken

Die Avenue de l'Europe führt kilometerlang an Campinganlagen vorbei, die sich westlich des Weges aneinander reihen. Wir lesen, dass hinter den Zäunen ein riesiges FKK-Zentrum liegen soll, offensichtlich ist aber noch niemand ein-, geschweige denn ausgezogen.

Die Hitze schmilzt den Asphalt des Radweges, wir verlieren sowohl reichlich Wasser als auch die Lust am Weiterfahren. Nach knapp 90 Kilometern stehen wir im merkantilen Zentrum des Ortes und müssen feststellen, dass wir in der uns umgebenden Trostlosigkeit nicht bleiben wollen. Obwohl wir die Schmerzgrenze zumindest erreicht haben.

Hauptversorger der zu erwartenden Nudisten ist ALDI, außer der Kassiererin spricht im überklimatisierten Laden niemand Französisch (ist ja auch kaum jemand da). Während ich vor dem Laden der etwas unglücklich verlaufenden Konversation eines niederländischen Liegeradlers mit zwei Französinnen meines Alters lausche (es gibt leider keine Sprache, in der sie sich verständigen könnten), findet Mo in den Regalen eine Packung mit fünf großen Quadern aus dunkler Schokolade, die einen intensiv schmeckenden Nougat-Kern umschließen. Die Teile sehen gut aus, bringen dem Körper allerdings jeweils nur schlappe 200 kcal.

Aber was soll man machen in der Not – Madame nimmt zwei, ich alle anderen.

Die Düne, die neben uns wanderte

Der Zucker wirkt schneller als erwartet, am Ortsende erreichen wir den Strand und eine riesige Düne, die bereits weite Teile der Straße erobert hat. Für uns bleibt noch etwas Platz, wir fahren nordwärts nach Soulac-sur-Mer. Ausnahmsweise begünstigt der Wind unser Vorwärtskommen.


Das Hotel liegt einige Kilometer vor dem Ortskern an einem Strand namens L'Amélie, der Patron schlägt vor, die Räder im Weinkeller übernachten zu lassen. Ich frage, ob dort eventuell auch für uns ein Plätzchen frei wäre, und er rät sofort und dringend ab: da unten gebe es sowieso nur Pétrus. Am Ende stehen die Räder im Heizungskeller, und wir tauschen in Zimmer 29 die Rad- gegen die Badeklamotten.


House of the Cool

Zum Strand sind es nur etwas mehr als einhundert Meter, das lässt sich nach dem heutigen Tag gerade noch bewältigen. Schwimmen kann man leider nicht, dafür ist zum einen das Wasser zu kalt (aber es tut richtig gut), zum anderen ist das Baden offiziell verboten, da der Strand nicht überwacht wird. Nach der Dusche kriegt jede/r eine Abreibung mit Neo-Ballistol und ein paar Minuten Pause zugestanden.

Vor dem Essen gönnen wir uns noch einen Lillet und einen Sauternes im Schatten, das Essen selbst – Austern, Cuisses de Canard – ist ausgezeichnet und der Service super. Dazu spielt dezenter Bebop und Cool Jazz, was weder zur Gegend noch zum Essen, noch zu den Gästen passt. Offensichtlich gefällt es aber dem Chef, und wir kommen nebenbei auch auf unsere Kosten.

So geht Urlaub!

Baden verboten, (be)wundern erlaubt