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Mittwoch, 5. September 2012

3. Juni 2012, der fünfundzwanzigste Tag: Talmont-Saint-Hilaire–Saint-Gervais, 90,72 km

Á la Bude de Bruch

Unser Frühstück hat genauso wenig Power wie wir, entsprechend unterversorgt machen wir uns auf den Weg zurück hinauf nach Talmont-Saint-Hilaire. Bereits nach kurzer Fahrt kommen wir an einem Abzweig vorbei, der auf einen neuen, noch nicht für den Verkehr frei gegebenen Zubringer zur Route nationale führt. Wir biegen wild entschlossen nach ab und sind bis zum Ende der Strecke entre nous.

An unserer Ausfahrt kommt uns eine Eingeborene entgegen, die gerade ansetzt, den Weg in umgekehrter Richtung zu nutzen. Sie lobt unseren Pioniergeist und weist uns den weiteren Weg. Gegen den Wind fahren wir auf der D4 nach Südwesten in Richtung Bourgenay.

Im Ort passieren wir eine Urlaubssiedlung von Pierre et Vacances, die aussieht wie Wertheim Village ohne Shopping.

Weiter geht es entlang der Baie de Cayola, wo links und rechts des Weges große Parks liegen, in denen man teils herrschaftliche Villen sieht und andernteils zumindest welche vermutet. Ein hochfeines Restaurant und zwei ebensolche Golfplätze runden das Gesamtbild einer auf wohlhabende Wirkung bedachten Siedlung ab.

Viel Wind, sonst nichts

Es könnte so schön sein, wenn wir und die anderen nicht da wären

Wenige Meter später und kurz vor Les Sables-d'Olonne kommen wir an so etwas wie Monza für Arme vorbei: eine Mini-Rennstrecke, auf der ältere Männer mit erweitertem Umfang und reduziertem Haupthaar in ihren Porsche, Maserati und Ferrari Stoßstange an Stoßstange sehr kleine Runden drehen und damit einige Zuschauer aus dem familiären Umfeld erfreuen können. Die Idee an sich und der von rechts herüber wehende Lärm und Gestank erinnern daran, dass Knete und Klasse nur in Ausnahmefällen Hand in Hand gehen.

Les Sables-d'Olonne begrüßt uns mit vielen Joggern, vielen Küstenwanderern und heftigem Gegenwind. Die Stadt ist recht belebt und hässlich wie die Nacht finster. Teils stehen noch erhabene alte Häuser am Straßenrand und man kann sich gut vorstellen, wie schön es hier einst gewesen sein könnte, aber überwiegend zieren vermeintlich neue Urlauberkästen, die längst wieder saniert werden müssten, unseren Weg.

Vorn viel Strand, hinten viel Elend

Wir kaufen bei Carrefour im Zentrum ein, fahren auf der D32 nach Olonne-sur-Mer und ein Stück hinter dem Ort auf der D38 weiter nach Brem-sur-Mer und Bretignolles-sur-Mer. Bei La Sauzaie wechseln wir auf eine Piste cyclable, die sehr schön durch die Dünen nach Saint-Gilles-Croix-de-Vie führt – kurz vor dem Ort machen wir Mittagspause und Mo telefoniert ein bisschen wegen der Entwicklung bei ihren Eltern.

Bis Saint-Jean-de-Monts gehen danach alle Orte mehr oder weniger ineinander über. Teils sind es Campingplätze, teils Ferienanlagen, teils Wohnsiedlungen. Und immer sind es Urlauberghettos. Mit den so genannten Mobile Homes hat man das System perfektioniert: in Reihenhaus-Formation auf den Campingplätzen aufgestellt und weder mobil noch home. Mauer oder Zaun drum – fertig. Dazu den Fun-Park für die Kleinen, Sky Sports für Papa, Karaoke für die Teenager und die Hausarbeit für Mama.

Ach ja, heute feiert Frankreich la Fête des mères.

Nicht alles ist Käse in Saint-Gervais

In Saint-Jean-de-Monts reservieren wir telefonisch ein Hotel im nahen Saint-Gervais, mit diesem Namen haben wir ja letztes Jahr schon mal sehr gute Erfahrungen gemacht. Leider lässt sich das diesmal so nicht sagen, das Hotel entpuppt sich als Bude de Bruch: alles Plastik, alles verschlissen, insgesamt unerträglich.

Augen zu und rein

Wir haben noch etwas Zeit vor dem Abendessen, die wir zum Ruhen nutzen. Beim Essen haben wir heute keine Wahl, denn es ist Sonntag und für die Hausgäste gibt es ein festes Menü: Jambon de Vendée, Faux Filet de Bœuf sauce au Poivre und Tarte aux pommes.

Nachdem wir unsere Vorspeise gegessen haben, nehmen einen Tisch weiter sechs Franzosen Platz, die mit dem angebotenen Schinken unzufrieden sind und lieber Austern hätten. Madame serviert also 36 Austern, ich beschwere mich und sie versucht mir zu erzählen, die Nachbarn hätten vorbestellt. Damit macht sie es nicht besser. Mit dem „besonderen“ Dessert, das sie uns als Wiedergutmachung offeriert, auch nicht.

Nach dem Essen telefonieren wir mit meiner Mutter. Mo bittet sie um den Versand von drei DIN-A4-Seiten per Telefax. Der Vorgang nimmt eine Stunde und 20 Minuten in Anspruch – so feiert man la Fête des mères!