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Freitag, 7. Juni 2013

5. Juni 2013 – Züttlingen–Satteldorf, 107,47 km

Der weiße Engel von Satteldorf

Eigentlich haben wir heute alles richtig gemacht: früh aufgestanden, gut gefrühstückt, schön aufgeräumt und schon vor neun gestartet. Der Weg nach Züttlingen war frei und zügig befahrbar, um kurz vor zehn sind wir da, um Viertel nach zehn schon weg.

Eindeutige Aussage, das wird nicht so bleiben.
An dieser Stelle eine Entschuldigung an alle, die zwischen halb elf und elf zum Mitfahren kamen, da waren wir schon weg. Aber es hat sich sicher eine größere Verfolgergruppe gebildet, die uns im Lauf der nächsten Tage einholen wird. Gute Fahrt!


Vom Parkplatz führt die Straße in Richtung Möckmühl, nach ca. 300 Metern biegen wir links ab, überbrücken die Bahnstrecke und fahren kurz drauf rechts auf den Radweg. Der Belag fördert zügiges Vorwärtskommen, irgendwann erreichen wir den Jagsttalbahn-Weg, auf dem wir auch Möckmühl passieren. Leider passieren wir nach ein paar Kilometern außerdem ein Schild mit der unzweideutigen Botschaft: „Das war das schönste Stück des Radwegs“.

Von dort oben sind wir heute gekommen – was für ein Abstieg!

In der Folge rollen wir neben den längst aufgegebenen Gleisen einer anderen Bahnlinie, die Spur ist so schmal, dass man sich fragt, wie jemals ein Zug darauf gefahren sein mag. Es riecht nach Sauerampfer, Bärlauch (blüht gerade massiv) und frischer Mahd. Genau wie wir nutzen auch die Bauern die stabile Wetterlage; gemäht sind die Wiesen bereits, jetzt sind die Heuwender im Einsatz.

Vor Berlichingen – ja, das ist die Stadt aus Goethes Drama – wechselt die Bahntrasse von rechts nach links, und direkt dahinter stehen endlose Salat-Reihen: Lollo rot, Lollo grün, Eichblatt, Kopfsalat, Romana, unglaublich.

Das Wetter wird immer besser, Mo meint, es wird heiß. Sie zieht langsam ihre Radhandschuhe aus. Gut dass ich vorne fahre, denn wer weiß, wie heiß es noch werden wird.

Das Burgund hat auch auf der Alb seine Spuren hinterlassen.
Steht viel weiter oben als der Name vermuten lässt.

Zwischen Winzenhofen und Marlach wird's erstmal kühl am Fuß, denn vor uns steht das Waser in einer Senke, deren Tiefe wir nicht abschätzen können. Da heißt es „learning by doing“, ich fahre vor und durchquere in der Mitte eine Tiefe von ca. 40 Zentimetern. Ergebnis: nasse Füße, aber wieder unnützes Wissen gesammelt.

Die Jagst ist vom Hochwasser immer noch ziemlich aufgeregt.

Entlang des Weges sieht man immer noch deutliche Spuren des Hochwassers (so muss Katastrophen-Tourismus sein!): überschwemmte Äcker und Wiesen, verschlammte Wege, breite Schneisen mitgerissener und dadurch umgeknickter Pflanzen. Und der Plastikmüll, der sonst in Schleusen, Wehren und anderen technischen Einrichtungen gesammelt wird, hängt jetzt in 1,50 Meter Höhe in den Zweigen ufernaher Büsche und Bäume.

Ein Paradies für Enten, acht Meter entfernt vom Wasser.

Langsam wird's Zeit fürs Mittagessen, wir finden nirgendwo einen Metzger und müssen uns mit dem Mitgebrachten begnügen. Das machen wir kurz vor Hohebach, nach etwa 50 Kilometern. Vor der Pause passieren wir noch die erste Strecke ohne asphaltierten Boden, das Waldstück misst nur ein paar Hundert Meter, direkt dahinter besetzen wir eine Bank mit herrlichem Fernblick, ziehen die Schuhe aus und trocknen Sohlen, Socken, Füße.

Da sind wir doch richtig.

Der Rest des Tages wird sehr hart. Zuerst ereilt uns der Anstieg hinauf nach Leofels, der maßgeblich zu den mehr als 1.000 Höhenmetern dieses ersten Tages beiträgt. In Kirchberg suchen wir deshalb einen Platz zum Schlafen, ernten aber nur mitfühlendes Kopfschütteln. Bis Crailsheim werden wir keine Unterkunft finden.

Dank der unzuverlässiger werdenden Beschilderung verfahren wir uns noch bei der Ausfahrt und bringen so unnötig weitere Höhenmeter aufs Zählwerk.

Rebus des Tages: Kanzlerkandidat plus e.
Und so macht man's heute – ohne Kandidat.

Auf den folgenden 28 Kilometern bietet sich überall das gleiche Bild: Wenn Hotel oder Pension, dann alt und geschlossen. Wenn Radweg, dann sehr hügelig mit zum Teil giftigen Anstiegen.

Wirkt so sanft, kann aber ziemlich weh tun.

Trotz mehr als 2.000 Trainingskilometern in diesem Jahr fühle ich mich völlig untrainiert (der Weg wird für Familien mit Kindern ab 12 Jahren empfohlen!) und habe zum ersten Mal in meinem Leben Krämpfe während des Fahrens. Mo sagt zu all dem nichts, sie strampelt nur noch mechanisch mit.

Kurz vor Crailsheim stoppen wir nach ca. 102 Kilometern an einer Kreuzung, um den weiteren Weg zu besprechen, da kommt von rechts Brigitte Gröger im weißen Nalini-Trikot auf ihrer Basso-Rennmaschine die Landesstraße 1012 herauf.

Sie spricht mit uns, telefoniert mit Gott und der Welt, bucht für uns ein Zimmer und bringt uns auch noch eigenrädig hin. Ein rettender Engel, den uns der wolkenlose Himmel schickte.

Golden Nugget meets Golden Arches.

Einen Haken hat die Sache natürlich noch: Das Hotel heißt „Golden Nugget“ und ist Teil des lokalen Autohofs. Links nebenan steht Tank & Rast, rechts McDonald's.

Unser Zimmer ist eine Drei-Zimmer-Wohnung. Im Haus riecht es überall wie im ganz wilden Westen. Im Restaurant gibt's heute das Mittwochs-Special: All you can eat Spare-Ribs für 9.50 Euro. Ich habe heute etwas mehr als 7.000 Kalorien verfahren, I can eat fast zwei Teller. Mo nimmt das Schwabenpfännle.

Man weiß nicht, was besser zur location passt.

The Long And Winding Roadweg.

3 Kommentare:

  1. Der weiße Engel aus Satteldorf wünscht euch schöne Weihnachtsfeiertage, ein zufriedenes Jahr 2014 und allzeit einen rettenden Engel in eurer Nähe.

    Danke für die netten Zeilen in eurem Blog, den ich heute entdeckt habe.
    BG

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    1. So wird der weiße Engel zum Weihnachtsengel – wir freuen uns sehr, dass unsere Botschaft an der richtigen Adresse angekommen ist und haben eine große Freude mehr zum Fest!

      Schöne Feiertage, wir wünschen ein glückliches 2014 und freuen uns auf die Kulinarische Meile in Aalen, die wir sicher besuchen werden. Vielleicht fahren wir uns bei der Gelegenheit nochmal über den Weg.

      momi

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  2. Hallo momi,
    ja, er ist an der richtigen Adresse angekommen. Wenn auch durch einen großen Zufall.

    Ihr müsst einfach nur wieder suchend in der Hohenloher Landschaft stehen, dann entdecke ich euch sicherlich wieder :).

    Einfacher wird es, wenn ihr dem Hotel-Chef ein paar Zeilen mit dem Termin der Kulinarischen Meile, Eure Handy-Nummer gebt. Er wird es sicherlich an mich weiterleiten.

    Wenn es zeitlich passt, komme ich gerne und höre mir euren Reisebericht höchstpersönlich an. Es ist immer sehr interessant, wie andere Radler die Region sehen, erleben, erfahren usw.

    Das Neue Jahr hat begonnen. Genießen wir es.

    BG

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